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Elisabeth Voß /  Waldemar Schindowski

Editorial

Mit der ersten Ausgabe des Jahrbuch Nachhaltiges Wirtschaften möchten wir beginnen, regelmäßig über aktuelle Entwicklungen des Wirtschaftens jenseits von marktwirtschaftlicher Profitorientierung und staatlicher Bürokratie zu berichten.

Nachhaltiges Wirtschaften als gesellschaftspolitischer Ansatz geht zurück auf den 1987 veröffentlichten Bericht der von der UNO initiierten internationalen Kommission unter dem Vorsitz der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland. Unter Sustainable Development verstand die Brundtland-Kommission „Dauerhafte Entwicklung, (...) die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Weiterentwickelt wurde dieser Ansatz auf der Klimaschutzkonferenz in Rio de Janeiro 1992 mit der Verabschiedung der Agenda 21 sowie auf den Folgekonferenzen. Der letzte Klimagipfel im November 2000 in Den Haag scheiterte an der Weigerung von USA, Australien, Kanada und Japan, die im Kioto-Protokoll drei Jahre vorher eingegangenen Verpflichtungen zur CO2-Reduzierung umzusetzen. Statt dessen wurde auf unwürdigste Art versucht, mit Verrechnung angeblich CO2-senkender Maßnahmen wirkliches Handeln zu vermeiden.

Fast als Synonym für „Nachhaltigkeit“ hat sich der Begriff der „Zukunftsfähigkeit“ im öffentlichen Sprachgebrauch etabliert, ohne mit konkretem Inhalt gefüllt zu sein. Die 1996 veröffentlichte Studie Zukunftsfähiges Deutschland des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie dehnte den Nachhaltigkeitsbegriff auf viele Lebensbereiche aus unter dem Motto: „Gut leben statt viel haben“. Ein umfassender Überblick über den aktuellen Stand der Nachhaltigkeitsdebatte hierzulande ist im Rahmen dieses Jahrbuchs nicht leistbar. Wir werden uns auch nicht mit Begriffsdefinitionen aufhalten, sondern einige Aspekte des Themas beleuchten, die uns interessant scheinen.

Dabei gehen wir ausdrücklich von einem breiten Verständnis von Nachhaltigkeit aus, das neben der ökologischen und ökonomischen Dimension gleichberechtigt auch die soziale und politische Dimension umfaßt. Mit unserem Leitbild eines gebrauchswertorientierten Wirtschaftens, das sowohl auf den Schutz der Umwelt, als auch auf soziales Miteinander und Partizipation aller Beteiligten ausgerichtet ist, möchten wir einen prägenden Beitrag zur Nachhaltigkeitsdiskussion leisten. Wir sind uns dessen bewußt, daß auch in der herkömmlichen Wirtschaft vieles unter dem Label „Nachhaltigkeit“ geschieht, und wir uns insofern nur in einem Teilbereich des Themas bewegen. Jedoch möchten wir den Begriff der „Nachhaltigkeit“ nicht denen überlassen, die darunter in erster Linie hochtechnologische Lösungsvarianten verstehen (z.B. Atomkraft und Gentechnik), sondern eine eigene Definition öffentlich machen.

Die Idee zu diesem Jahrbuch ist entstanden aus Diskussionen im Rahmen des Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie“ (TAK AÖ)*. Ausgangspunkt ist die Frage, wie anderes, selbstorganisiertes, nicht von den Verwertungsinteressen der Kapitaleigner (Shareholder value) geleitetes Wirtschaften heute aussehen kann.

Als Gegenmodelle zur „alten Ökonomie“ die sich wesentlich am Leitbild der industriellen Produktion orientierte, entwickelte sich seit den 70er Jahren im Westen eine vielfältige, politisch motivierte „alternative Ökonomie“. Es entstanden Kollektivbetriebe, vor allem im handwerklichen Bereich, Gruppenwohnprojekte mit und ohne Hausbesetzungsgeschichte, und als konsequenteste Form Kommunen in Stadt und Land mit gemeinschaftlichem Wohnen, Arbeiten und politischen Aktivitäten. Diese Alternativprojekte konnten oft nur durch den idealistischen Einsatz ihrer Mitglieder und FreundInnen ökonomisch bestehen. Aus einem Teil der Szene, der trotz der Staatsknetedebatten der 80er Jahre keine Scheu hatte, öffentliche Fördermittel anzunehmen, ist die heute unüberschaubare Fülle von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften erwachsen. Andere haben sich in den 90er Jahren aus ökonomischer Notwendigkeit professionalisiert, ihre kollektiven Strukturen verändert oder aufgegeben. Die größten und bekanntesten Beispiele taz und Ökobank standen im Jahr 2000 vor existenziellen Krisen.

In der damaligen DDR gab es kaum Spielräume für alternativökonomische Experimente, dort entwickelten sich erst nach der Vereinnahmung durch die BRD Formen anderen Wirtschaftens, in erster Linie als Reaktion auf den drohenden Zusammenbruch der bisher staatlich abgesicherten Betriebe. Die großen Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zum Auffangen der durch Abwicklung ihrer Betriebe von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen haben nur wenige alternativökonomische Qualitäten. In geringem Umfang konnten selbstorganisierte Arbeitsplätze erhalten, teilweise auch neu geschaffen werden in verschiedensten Arten von Produktivgenossenschaften.

Mit diesem Jahrbuch möchten wir die Entwicklungen der unterschiedlichen Stränge alternativer Ökonomien begleiten. Wir berichten über neue Wohn- und Arbeitsformen, Kommunen, Frauenprojekte, Entwicklungen im Genossenschaftswesen und innerhalb der Gewerkschaften, aktuelle Diskussionen in der Landwirtschaft, Neues aus der Welt des Geldes und Ansätze eines Wirtschaftens ohne Geld, und über den weltweiten Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung. Dabei interessiert uns, welche Elemente anderen Wirtschaftens sich als dauerhaft stabil erweisen und welche Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten übertragbar sind auf die Erfordernisse unserer Zeit, die geprägt ist von Globalisierung, Neoliberalismus, „new economics“ oder Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft, um nur einige der Bezeichnungen für die aktuellen Tendenzen zu nennen.

Die selbstorganisierte Aneignung der eigenen Lebensgestaltung kann heute eine Alternative darstellen zur fortschreitenden Vereinzelung und Verarmung immer größerer Bevölkerungsteile. Für eine dauerhafte Stabilität solcher Strukturen, die weit über eine linke oder alternative Szene hinausreichen könnten, braucht es fördernde ökonomische und politische Rahmenbedingungen. Es kann nicht darum gehen, mit Selbstorganisation die zunehmenden Lücken im Sozialsystem zu kaschieren, sondern im Gegenteil darf der Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Statt bürokratischer Gängelungen sind zeitgemäße Formen der Förderung von Engagement und Eigenverantwortung einzufordern. Wir richten daher unseren Blick auch auf aktuelle soziale Bewegungen und Diskussionen um Privatisierungen bisher staatlicher Versorgungsbereiche und Abbau sozialstaatlicher Leistungen.
Ein Überblick über Veröffentlichungen der letzten Jahre rund um Nachhaltiges Wirtschaften rundet dieses Jahrbuch ab.

Wichtig ist uns auch der Blick über die Landesgrenzen auf die Europäischen Nachbarländer. Soziale, politische und auch ökonomische Alternativen organisieren sich zunehmend europaweit, und sind zur dauerhaften Stabilität auf diese Persepektive angewiesen. Darüberhinaus ist es hochinteressant, wie unterschiedlich in den verschiedenen Ländern „anderes“ Wirtschaften verstanden und praktiziert wird. Da gibt es viel zu entdecken und sicher auch voneinander zu lernen.

Jedes Jahr werden wir ein anderes europäisches Land zum Schwerpunkt machen. Wir beginnen mit den Niederlanden, weil dies das Land ist, zu dem wir selbst die engsten Kontakte haben. Um europaweit wahrgenommen zu werden und weitere KooperationspartnerInnen zu finden, werden wir große Teile dieses Jahrbuchs ins Englische übersetzen lassen und es sowohl in Buchform als auch im Internet veröffentlichen.

Anmerkungen
* Der TAK AÖ ist Teil der AG SPAK (Arbeitsgemeinschaft sozialpolitischer Arbeitskreise). Er besteht seit 1972 und veranstaltet vier mal im Jahr Seminare zu Themen rund um die Alternativökonomie.

 

Email: Waldemar Schindowskii
Waldemar Schindowski ist Mitherausgeber dieses Jahrbuch, weitere berufliche Aktivitäten: Verlag AG SPAK Bücher, digitales Publizieren und Digitaldruck. Mitarbeit u.a. im TAK AÖ (Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie).

Email: Elisabeth Voß
Elisabeth Voß ist Mitherausgeberin dieses Jahrbuchs, seit vielen Jahren aktiv im TAK AÖ und anderen alternativökonomischen Zusammenhängen, Veröffentlichungen u.a. in Contraste - Monatszeitung für Selbstorganisation und im Kommunebuch (Verlag Die Werkstatt 1996).

  WEITERFÜHRENDE LINKS: TAK AÖ www.leibi.de/takaoe
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