|
xxx
Eva Bulling-Schröter
Thesenpapier: Nachhaltigkeit und linke
Politik
I.
Die Nachhaltigkeitsdebatte ist keine linke, emanzipatorische Debatte, weil sie
gegenwärtig ihres sozialen Gehaltes beraubt ist.
Zentrale Papiere der Nachhaltigkeitsdiskussion, wie Zukunfsfähiges
Deutschland vom Wuppertal-Institut, beschreiben zwar Leitbilder für künftiges
Handeln, nennen aber keine politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen, keinerlei politische
Subjekte, die diesen Leitbildern zum praktischen Durchbruch verhelfen könnten. Es werden
zwar wichtige Impulse für eine neue öffentliche Debatte über Sinn und Ziel
wirtschaftlicher Prozesse geliefert, beispielsweise dass sich die Industrieländer mit
ihrem Reproduktionstyp in einer Sackgasse befinden. Dies ist ohne Zweifel ein Verdienst.
Doch enthalten sich fast alle Studien, einschließlich des Abschlussberichtes der
Enquete-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt des 13. Deutschen
Bundestages, jeglicher Analyse der Nicht-Nachhaltigkeit. In an Dramatik kaum zu
überbietenden Zustandsbeschreibungen werden keinerlei Macht-, Eigentums-, oder
Interessenkonstellationen analysiert. Der Raubbau an der Natur und die Ausbeutung des
Trikonts scheinen Verwerfungen eines nicht grundsätzlich in Frage zu stellenden Systems.
Wenn wir nur alle tatsächlich von dem Widersinns unseres Tuns überzeugt
wären, könnten wir unser Verhalten ändern, so der Tenor. Es handelt sich um
die totale Entkleidung der Nachhaltigkeitsdebatte von allen sozialen Inhalten.
Wer bei der Nachhaltigkeitsdebatte mitmischen will, braucht nur noch eine
Eintrittskarte zu bezahlen: Über Rassismus, Sexismus, Kapitalismus oder Nationalismus
darf nicht mehr gesprochen werden. (Helga Eblinghaus)
II.
Die Begriff Nachhaltigkeit wurde sich von den Herrschenden in erstaunlichen Tempo
angeeignet. Er wird inzwischen auch gegen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen
eingesetzt.
Die VerfechterInnen von Effizienzrevolutionen zur Senkung des globalen Umweltverbrauchs
verdrängen, dass der Kapitalismus technisch-technologisch nichts Anderes als eine
immerwährende Effizienzrevolution war und ist. Der Naturverbrauch ist dabei gestiegen und
nicht gesunken. Dass einzelne Bereiche aufgrund der Überlastung der Natur, insbesondere
der natürlichen Senken, einer gesamtstaatlichen Regulierung bedürfen, was eine
Unter-Schutz-Stellung bestimmter Gebiete oder die Festlegung von Grenzwerten einschließen
kann, liegt auch im Interesse einer langfristigen Verwertung von Kapital, Mensch und
Natur. Auch das ist nicht neu.
Forst- und Landwirtschaft proklamieren inzwischen in wütenden Angriffen gegen
Umweltverbände, dass beide per se nachhaltige Wirtschaft betreiben, weil sie ja von der
Natur lebten. Das Wir haben begriffen von Opel, welches auf die
Nachhaltigkeitsdebatte abhebt, beschränkt sich auf die Senkung des Materialverbrauches
pro Fahrzeug, nicht auf den Gesamtmaterialverbrauch der produzierten Fahrzeugflotte, die
immer weiter wächst.
Viele Umweltverbände schwenken immer mehr auf Kooperationskurs mit der Wirtschaft, denn
ohne sie ließe sich ja eh nichts durchsetzen. Nachhaltigkeit sei eben nachhaltige
Wirtschaft. Immer mehr wird dabei von den Verursachern der globalen Krise und deren
Profiteuren abgelenkt und werden die tatsächlichen Interessengegensätze verschleiert.
III.
Die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung wird auf dem Rücken der Familien mit
geringem Einkommmen ausgetragen. Frauen sind die Hauptleidtragenden.
Das Beispiel rotgrüne Ökosteuer zeigt, wie selbst Bündnis 90/Die Grünen Nachhaltigkeit
verstehen. Die durchaus ökologisch wünschenswerte Erhöhung der Sprit- und
Energiepreise enthält keinerlei soziale Abfederung für untere Einkommen. Durch die
gleichzeitige Senkung der Lohnnebenkosten (laut Rot-Grün die Kompensation, die
gleichzeitig Arbeit schaffen soll) werden diejenigen am meisten entlastet, die das
höchste sozialversicherungspflichtige Einkommen haben. Niedrige Einkommen können dagegen
quasi genauso wenig an der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge partizipieren wie
RentnerInnen, Arbeitslose oder SozialhilfeempfängerInnen.
Hauptgewinner sind aber die Unternehmen und zwar in Milliardenhöhe, denn die Senkung des
Unternehmeranteils an der Sozialversicherung spült vor allem Großunternehmen Geld in die
Kassen. In der Regel weit mehr, als Energiesteuern zu zahlen sind. Denn die
Energiesteuern, die über die Summe von 1000 DM/Jahr zu zahlen wären, werden bis zu 96
Prozent zurückerstattet.
Unter dem Strich werden Familien mit vielen Kindern am unteren Einkommensrand am
stärksten belastet. In diesen Familien werden vor allem Frauen diese zusätzliche
Belastung zu kompensieren haben.
Die von Rot-Grün angestrebte Innovationspolitik zur Förderung neuer Technologien, zur
Effizienzrevolution, von Risikokapital etc. bedient vorwiegend den weißen
mittelständischen deutschen Mann. Dieser ist unter den gegenwärtigen Verhältnissen am
ehesten in der Lage, die damit einhergehende Flexibilisierung mitzumachen und seine
Lebensarbeitszeit dem Diktat dieser erneuten Beschleunigung des Reproduktionsprozesses zu
unterwerfen. Die Trennung von hochbezahlten unfreiwilligen Workoholikern auf der einen
Seite und dauerhaft aus dem Arbeitsleben ausscheidenden Frauen auf der anderen Seite
manifestiert sich. Zudem werden Frauen vielfach in Niedriglohnbereiche hineingezwungen, da
sie aufgrund der patriarchalen Organisation von Familien und Familienpolitik oft nur
Teilzeit arbeiten und somit kaum den räumlich und zeitlich sich schnell ändernden
Anforderungen gewachsen sein können.
IV.
Die Effizienzrevolution in den Industriestaaten zerstört nachhaltig die
Umwelt und gleichzeitig soziale Zusammenhänge in den Ländern des Südens.
Zahlreiche Produktionsstätten in anderen Teilen der Welt arbeiten für die
Rohstoffversorgung Deutschlands, für die Herstellung von Halbfabrikaten für deutsche
Unternehmen oder für den deutschen Konsum. Sie alle verbrauchen wiederum Roh- und
Hilfsstoffe sowie Halbfabrikate, sie alle stoßen Klimagase und andere Emissionen aus,
viele erzeugen Abraum. Diese Inanspruchnahme des Umweltraumes wird zwar noch im
theoretisch-wissenschaftlichen Nachhaltigkeits-Diskurs abgehandelt, spielt aber bei der
Formulierung von Politik selbst von Umweltpolitik praktisch keine Rolle.
Die sauberen Hochtechnologien verbrauchen selbst im produktionsfernen Informationssektor
weit mehre Ressourcen als vermutet. Wie viel Boden in der Dritten Welt umgewälzt wird,
wie viele Wälder dort abgeholzt werden müssen, um die seltenen Rohstoffe zu fördern,
welche für die Miniaturisierung von Konsumtions- und Investitionsgütern in Europa
notwendig sind, spielt kaum eine Rolle.
Soziale Strukturen des Südens werden durch den liberalisierten Welthandel und die den
Ländern zugewiesene arbeitsteilige Rolle als billige Rohstofflieferanten und
verlängerte Werkbank immer weiter aufgebrochen, wobei es wiederum meist die Frauen sind,
die beispielsweise bei Verslumung die Familie ernähren, wärmen und kleiden müssen.
V.
Die Linke sollte sich trotzdem an der Nachhaltigkeitsdebatte beteiligen, weil diese
konsequent zu Ende gedacht einen tiefen sozialen und emanzipatorischen Gehalt hat.
Die Nachhaltigkeitsdebatte ist Realität. Sie ist nicht von UnternehmerInnen oder dem
Mainstream losgetreten, sondern von ihnen missbraucht worden. Die Linke muss angesichts
der globalen Bedrohungen zur Kenntnis nehmen, dass diese Debatte, trotz der notwendig
scharfen Kritik an ihr, der einzige in der Öffentlichkeit relevant wahrgenommene komplexe
Ansatz ist, welcher die gravierenden Probleme der natürliche Umwelt und die Armut in den
Trikontländern in Beziehung zur Wirtschaftsweise setzt.
Das Meer darf nicht überfischt werden, wollen wir langfristig von ihm leben. Auch Kohle
oder Erze dürften nicht schneller abgebaut werden, als nachwachsende Rohstoffe diese
ersetzen. Die Emission umweltbelastender Stoffe darf die Regenerationsfähigkeit der
Umwelt nicht übersteigen. Und: jedem Menschen ob in Deutschland oder in Kenia
sollen gleiche Ansprüche auf eine verträgliche Nutzung der Umwelt zustehen. Diese
Grundregeln nachhaltiger Wirtschaftsweise sind ja nicht falsch. Konsequent zu Ende gedacht
stellen sie Fragen nach den Ursachen dafür, dass gegen sie nachhaltig verstoßen wird.
Die Debatte bietet also auch Raum für linke, emanzipatorische Ansätze, sofern ihr
sozialer Gehalt freigelegt wird.
Dabei muss die Linke gegen den Strom schwimmen. Sie muss den Gleichverteilungsanspruch
verteidigen, der immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird. An Stelle eines
Expertendiskurses muss sie für die Teilhabe von Betroffenen an Entscheidungsprozessen
streiten. Sie muss gegen den Trend kämpfen, dass politische Veränderungen nicht mehr von
unten erkämpft, sondern per Stellvertreterpolitik auf spektakulären, medienwirksamen
Konferenzen verhandelt werden sollen. Und sie muss den kapitalistischen und patriarchalen
Charakter einer Ehe von Nachhaltigkeit und Neoliberalismus aufdecken.
Die Thesen wurden auf der Konferenz
Globalisierung und Geschlecht der Bundesstiftung Rosa Luxemburg am 22.1.2000
vorgestellt.
|