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Erhard O. Müller

Projektbörse Nachhaltigkeit
Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen Agenda 21 und Wirtschaft

Die Grundphilosophie der Agenda 21 folgt einem „komplementären“ Politikansatz, der in letzter Zeit an die Stelle der eher „konfrontativen“ Strategien vergangener Jahrzehnte getreten ist. In diesen Zusammenhang gehört auch eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen sozialen Bewegungen und Wirtschaft im Sinne von „Interessenpartnerschaften“. Auch bei der Gründung des Runden Tisches zur Nachhaltigen Entwicklung in Berlin und Brandenburg standen wir anfangs vor der Frage, auf welche Weise die Kooperation zwischen den beiden – scheinbar konträr zueinander stehenden – Interessenlagen von „Ökologie“ und Ökonomie“ organisierbar ist.

Schon die ersten Überlegungen zur Etablierung des Runden Tisches enthielten die Festlegung, dass der Bereich Wirtschaft bereits im vorbereitenden Kern – neben Verwaltung, Wissenschaft, NGOs etc. – ausgewogen vertreten sein sollte (gemeint waren wohlgemerkt nicht nur die schon vorhandenen „Spurenelemente“ ökologischen Denkens in der Wirtschaft à la UnternehmensGrün, sondern die etablierten Wirtschaftsinteressen!).

Dankbare Ansprechpartner in dieser Sache waren zunächst der Bundesverband Junger Unternehmer, die Berliner Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer, die sich von Anfang an der Konzeptionierung des Runden Tisches beteiligten. Für die allgemeine Akklimatisierung zwischen derart verschiedenen Interessenlagen war es darüber hinaus wichtig, den Kreis der Dialogpartner auf maximal 40 Teilnehmende zu begrenzen, um auf diese Weise einen echten Dialog, d.h. einen gegenseitigen Lernprozess zwischen den einzelnen Beteiligten zu ermöglichen.

Die Planung der Projektbörse
Die Projektbörse – Partner für Nachhaltige Entwicklung ist erst nach zweijähriger Arbeit des Runden Tisches zur Nachhaltigen Entwicklung in Berlin und Brandenburg entstanden. Im Vorfeld hatte der Runde Tisch eine Umfrage bei seinen Mitgliedsorganisationen durchgeführt, um ihr Verständnis von Nachhaltigkeit und ihre jeweiligen Erwartungen zu erfragen, die mit der Teilnahme am Runden Tisch verbunden waren. Resultat dieser Umfrage war u.a. eine „Querschnitts-Arbeitsgruppe“ zur Projektgenerierung, die dem Anspruch Rechnung trug, dass der Dialog am Runden Tisch in konkrete, unfassbare Projekte und Veränderungsprozesse münden müsse. Die Arbeitsgruppe Projektgenerierung legte dem Runden Tisch im Juni 1999 ein Konzept für die Ausgestaltung und Durchführung einer Projektbörse Nachhaltigkeit mit folgenden Zielen vor: “Die Projektbörse will das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in der Region Berlin/Brandenburg bekannt machen und exemplarische Projekte für die Region in Form eines Wettbewerbs anstoßen. Die praktischen Ideen und Initiativen interessierter Akteure in der Region Berlin/Brandenburg sollen mit dieser Aktion mobilisiert und zu Projektkooperationen angeregt werden.“

Die Realisierung der Projektbörse kam zunächst nur schwer in Gang. Hauptprobleme waren das Fortbestehen von Vorbehalten gegen dieses Vorhaben seitens einiger Mitglieder des Runden Tisches (resp. der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung), aber auch die Anfangsschwierigkeiten eines eher auf Dialog ausgerichteten Forums, nunmehr auch ein praktisches Projekt zu realisieren; und – last not least – die Finanzierungsfrage.

Nach dem Scheitern einiger Finanzierungsanträge kam der Durchbruch in Form einer größeren Finanzierungszusage durch die InvestitionsBank Berlin (IBB), die mit der Übernahme einer Mitträgerschaft der Projektbörse verbunden war. Dadurch waren nicht nur ausreichende finanzielle Mittel, sondern auch personelle Kapazitäten und Infrastrukturen sichergestellt. Die IBB erwies sich darüber hinaus als eine Organisation, die mit der Organisation von Start-ups über große Erfahrungen verfügte und diese auch für die Projektbörse einsetzte. Wie wurden in dieser – für alle Beteiligten durchaus neuen – Form der Kooperation die avisierten Ziele der Projektbörse erreicht?

Praktische Nachhaltigkeit
Um von Anfang an deutlich zu machen, dass es um Projekte ging, die einer bestimmten Zielrichtung – der Nachhaltigkeit – verpflichtet sind, wurden in der Ausschreibung sechs Kriterien formuliert, die in jedem eingereichten Antrag explizit zu berücksichtigen waren: innovations- und zukunftsorientiert, nachhaltig im Sinne der Synergieeffekte zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem, kooperativ, beteiligungsorientiert, regional und ortsspezifisch, verallgemeinerungsfähig. Projekte, die nur einzelnen Dimensionen der Nachhaltigkeit gerecht wurden, kamen für die Auswahl nicht in Frage.
Zu unserer Überraschung wurden 152 Projektideen eingereicht, die allerdings nicht alle spezifisch auf diese Ausschreibung und deren Zweck hin neu formuliert wurden. Man kann drei Gruppen von Projekten unterscheiden: Ein Teil der Projekte ist in anderen Zusammenhängen entstanden und für die Projektbörse neu zugeschnitten worden, ein anderer Teil ist erst aufgrund der Ausschreibung entstanden, und zu einem geringen Teil handelte es sich um eine 1:1-Neueinreichung bereits formulierter Projekte. Antragsteller mit größerer Projekterfahrung haben sich eher formal auf die sechs Kriterien bezogen, während kleinere Gruppen diese Ausschreibung auch als Denkanstoß verstanden und dementsprechend ihre Projekte direkter auf die Ausschreibung zugeschnitten haben. Insgesamt lässt sich resümieren, dass die Vorgabe dieser sechs Kriterien – unter realistischer Einschätzung des Projektgeschäfts – ihre Funktion erfüllt hat.

Die Ausschreibung der Projektbörse unter dem umfassenden Begriff der Nachhaltigkeit diente auch dazu, die zu erwartende Dominanz von rein ökologisch ausgerichteten Projekte zu vermeiden. Nach einem groben Überblick waren die Projektanträge breit über alle ökologischen, sozialen und ökonomischen Themenfelder verteilt, die für die Nachhaltigkeitsstrategien als relevant angesehen werden. Darüber hinaus haben sich auch die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen in Berlin und Brandenburg an der Ausschreibung beteiligt, d.h. etablierte Großinstitutionen, Firmen, Berater, bezirkliche Initiativen, Selbsthilfegruppen bis hin zu einzelnen Aktiven. Es ist kein Schwerpunkt z.B. im sogenannten Szene-Umfeld festzustellen.

Vernetzung von Projektinitiativen
Die Vernetzung zwischen den 152 Projektanträgen erfolgte in einer ersten Runde auf einem öffentlich angekündigten Projekttag auf dem Gelände der Berliner UFA-Fabrik. Die avisierte Vernetzung funktionierte beispielhaft: Alle eingereichten Projekte konnten sich auf Schautafeln präsentieren; Besucher und Beteiligte hatten die Möglichkeit, durch diese Präsentationen hindurchzuschlendern, sich anregen zu lassen und Kontakte zu anderen Projekten aufzunehmen. Natürlich trug auch die anregende Atmosphäre der UFA-Fabrik zum Erfolg dieses Projekttages bei. Über die Qualität der auf dem Projekttag entstandenen Kooperationen und ihre Dauerhaftigkeit können allerdings zur Zeit noch keine Aussagen getroffen werden.
An den insgesamt 54 Anträgen, die in einer zweiten Runde – d.h. nach ihrer Vernetzung auf dem Projekttag – eingereicht wurden, sind im Durchschnitt jeweils zwei bis drei Kooperanden beteiligt. Bei einem Teil dieser Anträge war die Kooperation sicher formaler Art, u.a. um den Anforderungen der Projektbörse gerecht zu werden; bei einem weiteren Teil wird die Hereinnahme weiterer Kooperanden im Sinne einer punktuellen Anregung und Erweiterung gewirkt haben; und bei einem dritten Teil wird die Kooperation zu einer Bereicherung der Themenstellung und der kooperativen Arbeitsweise geführt haben.

Erfreulich war, dass die Antragstellung zum überwiegenden Teil auf einem professionellen Niveau stattgefunden hat (strukturiert durch einen Fragebogen). Auch die finanziellen Kalkulationen waren überwiegend dem Projektziel angemessen und lagen auf einem realistischen Niveau. Die Idee, sogenannten „Leitprojekte“ auszuzeichnen – wobei die ausgelobten 5 x 5.000 DM eher als eine symbolische Anerkennung denn als echte Finanzierung bewertet werden müssen –, hat sich als sinnvoll erwiesen.

Öffentlichkeitswirksamkeit
Für die Ausschreibung der Projektbörse sind verschiedene Medien eingesetzt worden.
–    Die Herstellung einer Postkarte war in bezug auf das Preis-Effekt-Verhältnis optimal: Das Auslegen der Postkarten (nicht nur in den wichtigsten Institutionen, sondern auch in kulturellen Einrichtungen und Gaststätten) hat augenscheinlich viele Antragsteller angeregt und die Projektbörse insgesamt bekannt gemacht. Dazu haben in geringerem Maße auch ein Plakat und ein erläuternder Flyer beigetragen.
–    Eine Anleitung zur Verfassung der Projektanträge und ein entsprechender Fragebogen haben sich als hilfreich erwiesen.
–    Wichtig für die Öffentlichkeitswirksamkeit waren der Projekttag und insbesondere die Abschlussveranstaltung zur Prämierung der Leitprojekte. Beide waren sehr gut besucht und anregend.
–    Nicht nur die fünf am Ende prämierten, sondern auch die Gesamtheit der eingereichten Projekte sollen im Anschluss in einer Dokumentationsbroschüre der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Die Presseresonanz des gesamten Vorhabens Projektbörse muss dagegen klar als mäßig eingeschätzt werden. Offensichtlich ist das klassische Instrumentarium der Pressearbeit (Pressemitteilung, Pressekonferenz) nicht ausreichend, um ein solches Thema wie Nachhaltigkeit in den Medien „rüberzubringen“. Es bleibt zu klären, ob dies an der konventionellen Arbeitsweise, an der Überlastung der Berliner Pressebüros oder an der immer noch schwer fassbaren Spezifik des Begriffs „Nachhaltigkeit“ als Leitmotiv der Projektbörse gelegen hat.

Sponsoring
Die Hauptfinanzierung und Mitträgerschaft durch ein wirtschaftliches Unternehmen, die IBB, ist in mehrfacher Hinsicht positiv zu bewerten: Die IBB hat nicht versucht, die Projektbörse in irgendeiner Weise für ihre eigenen Ziele zu funktionalisieren, so dass deren ursprüngliche Intention verfälscht oder überlagert worden wäre. Sie hat im Gegenteil ihre Ressourcen umfassend zur Verfügung gestellt (Personal, Räume, fachliche Unterstützung und nicht zuletzt Finanzen). Zwischen den Gesetzmäßigkeiten der Großorganisation einer Bankverwaltung und den Arbeitsabläufen eines vergleichsweise alternativen Projekts gab es an einzelnen Stellen allerdings auch „Gewöhnungsbedarf“.
Was das Sponsoring insgesamt betrifft, ist die Resonanz auf die Projektbörse jedoch eher enttäuschend gewesen. Es ist nur ansatzweise gelungen, die Vielzahl der in Berlin und Brandenburg vertretenen Organisationen und Institutionen für eine geringfügige, eher symbolische Unterstützung zu gewinnen. Die fünf Prämien sind über Personen und Institutionen eingeworben worden, die bereits im Vorfeld mit der Projektbörse in Kontakt standen bzw. an ihrer Organisation mitgearbeitet haben – konkret über drei wirtschaftliche Unternehmen sowie das Brandenburger Umweltministerium.

Runder Tisch und Projektbörse
Ursprüngliches Ziel der Projektbörse war es, gerade die Mitgliedsorganisationen und Institutionen des Runden Tisches zu einer praktischen Projektarbeit zusammenzuführen, damit den Zusammenhalt dieses Forums zu stärken und ein gemeinsames Grundverständnis von Nachhaltigkeit über konkrete Projekterfahrungen voranzutreiben. In diesem Punkt sind die ursprünglichen Erwartungen nicht eingetreten. Interessant wäre zu prüfen, wie viele der knapp 40 Mitgliedsorganisationen an Projektanträgen beteiligt waren.

Eine Ursache für dieses Defizit besteht sicher darin, dass der Runde Tisch (bzw. das aus ihm mittlerweile hervorgegangene „Agendaforum“) noch keine Formen gefunden hat, um als Gremium die Durchführung von Vorhaben à la Projektbörse praktisch zu unterstützen. Die Vorbereitung und unmittelbare Durchführung lief über einzelne Koordinationsverantwortliche und am Runden Tisch Beteiligte, die sich persönlich für die Projektbörse engagierten. Es wäre generell zu überdenken, unter welchen Bedingungen netzwerkartige Dialogforen überhaupt in der Lage sind, in Form von Kampagnen aktiv zu werden. Entscheidend für das Gelingen der Projektbörse war die Finanzierung einer Koordination aus Mitteln der IBB und der Projektagentur Zukunftsfähiges Berlin.

Diese erste Bilanz der Projektbörse ist natürlich noch nicht vollständig und hat u.a. den Zweck, vergleichbaren Foren an anderen Orten als Anregung für ihre Arbeit mit Vorhaben ähnlicher Art zu dienen. Es ist vorgesehen, nach Ablauf von einem Jahr noch einmal eine Befragung der in der zweiten Runde eingereichten 54 Projekte durchzuführen, um den weiteren Verlauf der Projektumsetzung einschätzen zu können.
Eines hat diese – für viele Agendaprozesse sicher (noch) untypische – Kooperation in jedem Fall gezeigt: Es ist sinnvoll und möglich, den „Faktor Wirtschaft“ zum Nutzen nachhaltiger Strategien in einen gemeinsamen Diskurs einzubinden, ohne dass dies zu einer Funktionalisierung oder gar Vereinnahmung der jeweiligen Agenda-Prozesse durch wirtschaftliche Interessen führen muss. Voraussetzung ist allerdings, dass das gewohnte „Lagerdenken“ bei allen beteiligten Seiten überwunden und auf diese Weise die notwendige Atmosphäre für eine produktive Zusammenarbeit geschaffen wird.

 

Email: Ehrhard O. Müller
Der Autor war maßgeblich an der Entstehung des Berlin-Brandenburger Runden Tisches zur nachhaltigen Entwicklung sowie der Projektbörse Nachhaltigkeit beteiligt. Er ist Vorstandsmitglied des Netzwerk Zukunft e.V. und leitender Redakteur der Zeitschrift „Zukünfte“. Der Beitrag basiert auf einer Bilanz durch das Organisationsteam der Projektbörse.

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