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Elisabeth Voß

Einleitung Alternative Ökonomie

Dieses Jahrbuch ist im Kontext der Diskussionen des Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie (TAK AÖ) entstanden. Daraus ergibt sich als ein wesentlicher Schwerpunkt unserer Arbeit die Beschäftigung mit verschiedenen Formen wirtschaftlicher Tätigkeiten, die sich als Alternativen zur privatkapitalistischen Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur verstehen. Nachhaltiges Wirtschaften bedeutet daher auf betrieblicher Ebene die gleichwertige Einbeziehung sozialer und ökologischer Gesichtspunkte neben der selbstverständlich weiterhin unabdingbaren wirtschaftlichen Tragfähigkeit.1 Eine solche Herangehensweise scheint uns notwendige Bedingung zukunftsfähigen Wirtschaftens.

Spannend ist in diesem Zusammenhang immer wieder die Frage, inwieweit selbstverwaltete Strukturen überhaupt dauerhaft Bestand haben können oder ob das Oppenheimersche Gesetz2  sich quasi naturwüchsig irgendwann durchsetzt. Diese Frage lässt sich ja nun in jedem Einzelfall erst rückblickend beantworten, und aus unserer Sicht wird sie sich wesentlich daran entscheiden, ob und wie die Gestaltung selbstverwalteter Strukturen die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Beteiligten berücksichtigt. Wir wünschen uns lebbare selbstverwaltete Wirtschaftsformen, die weder Einzelne überfordern (wie mitunter in den Kollektivbetrieben der Alternativszene) noch unter dem Deckmäntelchen der Selbstverwirklichung neue Ausbeutungsformen schaffen (wie aktuell in der New Economy üblich).

Nachhaltiges Wirtschaften braucht heute Menschen, die auf unterschiedlichste Art bereit und fähig sind, Verantwortung zu übernehmen für ihre Tätigkeit, die mit Sachkenntnis und Motivation als FreiberuflerInnen, KleinunternehmerInnen oder mit anderen im Kollektiv ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, unter Einbeziehung sozialer und ökologischer Gesichtspunkte. Noch lassen die Rahmenbedingungen in Deutschland für solche Art neuen UnternehmerInnentums in vielerlei Hinsicht zu wünschen übrig. Weder ist unser Ausbildungssystem geeignet, Menschen für solcherlei Tätigkeit zu befähigen, noch sind die Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Formalitäten werden immer noch viel höher bewertet als Fähigkeiten und Engagement. Trotzdem wurden im Bereich der Alternativen Ökonomie in den letzten Jahrzehnten Erfahrungen gesammelt, die für Nachhaltiges Wirtschaften heute von Bedeutung sein können. Denn die herkömmlichen kapitalistischen Arbeitsformen können weder quantitativ noch qualitativ ausreichende Perspektiven bieten.

Zum Einstieg gibt Rolf Schwendter, Professor für Devianzforschung3  an der Gesamthochschule Kassel, in Alternative Ökonomie – Negation der Globalisierungstendenzen? einen Einblick in die unüberschaubare Vielfalt Alternativer Ökonomien. Er beschreibt die dort üblichen, sich mehr oder weniger herkömmlichen Kosten-Nutzen-Erwägungen entziehenden Inhalte und Strukturen, sowie den Druck der Globalisierung auf die AkteurInnen dieser Projekte. Ein „gemeinsames Selbstwertgefühl“ als Basis einer „Vernetzung der Schwachen“ ist für ihn notwendig zur Stabilisierung dieser Wirtschaftsformen. Der Autor ist Mit-Initiator der AG SPAK und des TAK AÖ und schöpft hier aus seinen langjährigen Erfahrungen in dieser Szene und seinen Forschungsarbeiten der letzten Jahrzehnte.

Einen historischen Ursprung Alternativer Ökonomie stellt Hans Bierbaum, Professor für allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes, dar in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gemeinwirtschaft. Sowohl aus der Genossenschafts- als auch aus der Gewerkschaftsbewegung entstanden, hatte die Gemeinwirtschaft ursprünglich ähnliche Ideale wie die heutige Alternative Ökonomie. Der Autor analysiert die Ursachen ihres Scheiterns und konstatiert eine vertane Chance zur Kooperation zwischen Gewerkschaften und Alternativer Ökonomie am Beispiel des Entstehens von Beschäftigungsgesellschaften. Er plädiert nach wie vor für gemeinwirtschaftliche Strukturen im Rahmen regionaler, nachhaltig orientierter Entwicklungspolitik.

In Neue Genossenschaften braucht das Land benennt Michael Bock, Begründer des Prüfungsverbandes klein- und mittelständischer Genossenschaften (PKMG), die Besonderheiten von Genossenschaften im Unterschied sowohl zu herkömmlichen Unternehmen, als auch zu gemeinwohlorientiertem Wirtschaften. Darüber hinaus zeigt er Beispiele und Möglichkeiten auf, wie mit Genossenschaften heute, angesichts der Krise der Erwerbsarbeit, Beschäftigungsfelder entwickelt werden können, die neue Arbeitsplätze schaffen und gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen.4 
Als ein weiterer möglicher Lösungsansatz wird seit ein paar Jahren Frithjof Bergmanns Konzept des New Work diskutiert. Er propagiert eine Dreiteilung der Arbeitszeit in herkömmliche Erwerbsarbeit, Hightech-Selbstversorgung und Calling, im Sinne von Berufung: „finde heraus, was du wirklich, wirklich willst“. In mehr oder weniger großer Nähe zu New Work ist hierzulande eine vielfältige Projektelandschaft entstanden, von der Initiatorin des Projekts workstation in Berlin, Frauke Heel, hier vorgestellt in Die arbeitsbewegte Gesellschaft – was folgt? Es geht den beschriebenen Projekten nicht darum, Bergmanns theoretisches Konzept eins zu eins umzusetzen, sondern sich von seinem Denken zu eigener Praxis inspirieren zu lassen. Arbeit wird nicht länger als notwendiges Übel zur Sicherung des Lebensunterhalts betrachtet, sondern mensch nimmt sich die Freiheit, nach dem Sinn der Tätigkeit und der eigenen Lust an ihrer Ausübung zu fragen (angesichts der aktuell losgetretenen „Drückeberger“-Hetze mit dem zu befürchtenden Wiederauferstehen eines bedingungslosen Arbeitsethos ein fast revolutionärer Ansatz).

Arbeit als integrierter Teil des gemeinsamen Alltags wird seit Jahrzehnten von den unterschiedlichen Kommunen und Gemeinschaften praktiziert. Uli Barth, seit der Gründung vor über 15 Jahren Mitglied der Kommune Niederkaufungen bei Kassel, gibt in Was bewegt sich in den Gemeinschaftsszenen? einen Überblick über die Vielfalt solcher Gruppen und legt dar, wie hier schon lange vor Beginn der Debatte um Nachhaltiges Wirtschaften dieses praktiziert wurde. Auch wenn die Utopie einer Gesellschaft aus Kommunen, Wohnprojekten und Kollektiven kaum umsetzbar scheint, sind hier doch spannende Modelle von Lebensformen entstanden, die auf so manche Fragen der Agendaprozesse, insbesondere nach notwendigen Lebensstiländerungen hier im Norden, mögliche Antworten anbieten können.

Alternative Ökonomie ist in aller Regel klein und fein, die Firmen eher Hinterhofklitschen als Großbetriebe. Einige wenige Kollektive und Szenebetriebe sind kontinuierlich gewachsen. Zwei von ihnen – die Tageszeitung taz und die Frankfurter Ökobank – sind letztes Jahr in existenzielle Krisen geraten. Die taz hat sich mit einer groß angelegten Kampagne vorerst noch einmal retten können, auch wenn ihr wirtschaftliches Überleben noch lange nicht gesichert ist. Karl-Heinz Ruch, einer der taz-Geschäftsführer, zeichnet in Wir haben eine Chance, und wir nutzen sie die bewegte Geschichte dieses in Deutschland einmaligen Zeitungsprojekts nach.5 

Anmerkungen
1    Vgl. dazu auch Burghard Flieger/Elmar Sing: „Soziale Nachhaltigkeit – Stiefkind der Sustainable Development-Diskussion“ im Kapitel „Nachhaltigkeit“.
2    Das Oppenheimersche Gesetz besagt, dass auf längere Sicht Genossenschaften entweder zum Scheitern verurteilt sind, oder bei wirtschaftlich erfolgreichem Bestehen ihre selbstverwalteten Strukturen zwangsläufig aufgeben. Demnach handelte es sich also um ausdrücklich nicht-dauerhafte Wirtschaftsformen (vgl. dazu auch die Beiträge von Rolf Schwendter und Heinz Bierbaum in diesem Kapitel).
3    Devianz: Abweichung von der Norm
4    Als konkretes Beispiel stellen wir dazu das Konzept des Wohnbund einer Quartiersgenossenschaft für Leipzig vor, zu den notwendigen Rahmenbedingungen auch genossenschaftlichen Wirtschaftens verweisen wir auf den Beitrag von Heidi Knake-Werner zum Öffentlich geförderten Beschäftigungssektor (ÖBS), beides im Kapitel „Regionale Ökonomie und Beschäftigungsförderung“.
5    Die Situation der Ökobank beschreibt Waldemar Schindowski in „Eine Generation Ökobank – war das alles?“ im Kapitel „Wirtschaften mit und ohne Geld“

 

Email: Elisabeth Voß
Elisabeth Voß ist Mitherausgeberin dieses Jahrbuchs, seit vielen Jahren aktiv im TAK AÖ und anderen alternativökonomischen Zusammenhängen, Veröffentlichungen u.a. in Contraste - Monatszeitung für Selbstorganisation und im Kommunebuch (Verlag Die Werkstatt 1996).

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