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Karl-Heinz Ruch

TAZ: Wir haben eine Chance, und wir nutzen sie

Die taz ist ein spätes Kind der 68er Studentenbewegung. Spät, weil sich diese in den siebziger Jahren zunächst in den Irrungen und Wirrungen zwischen kommunistischen Sekten, Spontigruppen, Spaßguerilla aber auch terroristischen Zirkeln verlief. Die Bewegung trat auf der Stelle.
„Flüchten oder standhalten?“ war dann im Januar 1978 das Thema des dreitägigen Tunix-Kongresses, mit dem Freaks, Freunde und Genossen in Westberlin einen konstruktiven Schritt nach vorn vorschlugen. 20.000 Menschen aus dem ganzen Land aber auch aus Italien und Frankreich nahmen teil. Es war ein Riesenfest mit Musik, Kabarett und Theater. Alles war Thema: Feminismus und Ökologie, das Schwule und das Linke, über Knastarbeit und Anti-Psychiatrie, alternative Medien und die Gründung einer linken Tageszeitung.

Tunix war der Aufbruch der Alternativbewegung zur Gründung eigener Institutionen gegen das Establishment. Die Vorstellung, dass eine bessere Welt machbar sei, sollte nun auch konkret umgesetzt werden.

Die Themen waren klassisch, die Fragen kritisch und die Antworten sollten neu sein: Zukunft der Arbeit, Mensch und Umwelt, Nachhaltigkeit, Soziale Gerechtigkeit, Internationale Solidarität, Emanzipation, Kultur von unten, Multikultur, Minderheiten, Erziehung.
Mit tunix kamen die taz, Greenpeace, die Grünen und Hunderte anderer Organisationen, die meinten, dass man die Welt auch ganz anders machen könnte.

„Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie“,
... hieß es in der ersten regulären täglichen Nummer der taz am 17. April 1979. Damals hätte wohl niemand auch nur im Traum geglaubt, dass die taz einmal zwanzig Jahre alt werden würde. Und dass zwei Tage nach ihrem zwanzigjährigen Jubiläum der Deutsche Bundestag seine erste Plenarsitzung im neuen Berliner Reichstagsgebäude abhalten würde, die Mauer weg ist und eine rot-grüne Bundesregierung, mit einem grünen Außenminister der taz an die Spree folgt.

In zwei Jahrzehnten konnte die taz vor allem durch die Solidarität ihrer MitarbeiterInnen und AbonnentInnen bestehen. Hinzugekommen ist seit Gründung der taz-Genossenschaft im Jahr 1991 die Unterstützung durch inzwischen mehr als fünftausend Genossenschaftsmitglieder, die sich mit 10 Millionen DM Kapital an der taz beteiligt haben.

Wie konnte gelingen, was nach Meinung aller Experten des Gewerbes überhaupt nicht möglich war? Ein Sprichwort sagt, wenn du ein Schiff bauen willst, dann suche nicht die besten Zimmerleute und Schiffbauer, sondern die Leute mit der größten Sehnsucht nach der Ferne. So war es bei der taz. Menschen mit Fachwissen, Journalisten oder Verlagsleute, gab es in der ersten Zeit so gut wie überhaupt nicht. Dafür fanden sich umso mehr junge Leute zusammen, denen das, was jeden Tag in den anderen Zeitungen geschrieben wurde, nicht ihrer Sehnsucht nach einer wirklich eigenen Stimme entsprach. Fritz Teufel, APO-Aktivist, schrieb 1978 aus dem Knast Moabit „Eine neue Zeitung ist die Frau meiner Träume seit 67. Dass sie doch auftauchte und nicht gleich wieder verschwände.“

Bei soviel Träumerei hatten betriebswirtschaftliche Überlegungen wenig Raum. Und das war gut, sonst hätte es die taz nie gegeben. Für den Start der Zeitung wären mindestens 20.000 Vorausabos notwendig gewesen, doch als die nicht zusammenkamen, begann die taz mit 7.000 Abos. Und trotz aller Ahnungslosigkeit fällten die GründerInnen in diesen frühen Jahren zukunftsweisende Entscheidungen.
So entschied sich ein denkwürdiges Plenum aller taz-Initiativen im Dezember 1978 für Berlin als Standort der Zentralredaktion der taz, obwohl zu jener Zeit überregionale Tageszeitungen eher nach Frankfurt gehörten. Für Berlin als Standort sprachen allein die vielfältigen Finanzierungsmöglichkeiten des Berlinförderungsgesetzes. Um die notwendigen Investitionen durchzuführen und auch den laufenden Haushalt durch Subventionen zu entlasten, entstand im Laufe der Jahre ein Geflecht von Unternehmen und Beteiligungsgesellschaften. Der Wert der Berlinförderungen belief sich für die taz auf mehrere Millionen im Jahr.

Entgegen allen Erwartungen gelang es der taz, trotz chronischer Finanzkrisen, am Markt zu bleiben. Die politische Konjunktur war für das Blatt in den achtziger Jahren denkbar günstig. Immer wieder gab es Themen, an denen sich die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zuspitzten und die auch die Auflage der taz emporbrachten. Schon kurz nach Erscheinen der taz wurde Berlin zur Hausbesetzermetropole. Das Atomprogramm und der Nato-Doppelbeschluss machten die taz als linke Zeitung in der Bundesrepublik bald unersetzlich. Die Atomkatastrophe von Tschernobyl 1986 brachte der taz eine Steigerung der Abonnements von 22.000 auf 36.000.

“Enteignet Springer, beteiligt Euch an der taz“
So wurde 1988 für Kommanditbeteiligungen an dem Neubauvorhaben des taz-Verlagshauses vor Springers Haustür in der Kochstraße geworben, das heute den Namen Rudi Dutschkes trägt. Am Ende jenes Jahrzehnts zeigte sich, dass sowohl die Standortentscheidung für die Kochstraße und überhaupt für Berlin zukunftsweisend war. Der Fall der Mauer machte Berlin zur kommenden Hauptstadt und die taz konnte aus zwei eigenen Verlagshäusern im alten Berliner Zeitungsviertel das alles aus nächster Nähe beschreiben.

Mit den neunziger Jahren begannen Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Haushaltsdefizite die Politik zu bestimmen. Die taz als Projekt der Gegenöffentlichkeit und der alternativen Kultur musste die veränderten Bedingungen nicht nur beschreiben, sondern wurde von ihnen auch erfasst. Die Insel Berlin wurde zum Festland, das liebgewonnene Subventionsmeer fiel trocken und mit ihm gingen die alternativen Lebensverhältnisse. Die taz musste – wie andere Berliner Unternehmen – mit ungeheurer Geschwindigkeit den neuen Anforderungen gerecht werden. Den Abbau der Berlinförderung zu verkraften zählte zu den höchsten Hürden, die die taz in ihrer Geschichte zu nehmen hatte. Das Unternehmen taz wurde entflochten, der Personalstand drastisch reduziert, der Einheitslohn abgeschafft und Deutschlands größter Alternativbetrieb in eine Genossenschaft umgewandelt.
Die neunziger Jahre waren für die taz das Jahrzehnt der Konsolidierung und Professionalisierung. Marketing und Anzeigenverkauf wurden aufgebaut, Zeitungsträgerdienste mit großem Aufwand ausgebaut. Diese Qualitätsverbesserungen waren oft ein Rennen gegen die Zeit. Denn die Konkurrenz auf dem Tageszeitungsmarkt verschärfte sich Jahr für Jahr. Und der taz fehlte und fehlt oft immer noch der lange finanzielle Atem der anderen. So stand die taz in den letzten zehn Jahren oft vor dem Ende und wurde nur durch die große Solidarität ihrer Leserinnen und Leser gerettet.
Denn die schätzen bis heute den langen Atem der taz, was die Inhalte der Zeitung angeht: Nachhaltige Entwicklung, Umgang mit Ressourcen, Lebens- und Umweltqualität, Globalisierung, Solidarität, Emanzipation, Menschen- und Bürgerrechte, Multikultur, Zukunft der Arbeit – die ehemals „exklusiven“ taz-Themen stehen heute im Zentrum gesamtgesellschaftlicher Diskussionen. Wie schon zu tunix-Zeiten geht es immer noch um die Frage: „Wie wollen wir leben?“ Heute stellen sie auch andere Zeitungen. In dieser neuen Vielfalt, mit der nicht zuletzt ein alter taz-Traum Wirklichkeit geworden ist, muss die taz ihre eigenen Antworten finden. Das ist die Herausforderung für dieses Jahrzehnt. Wir haben lange drauf gewartet.

 

Karl-Heinz Ruch ist Geschäftsführer der Tageszeitung im Berlin.

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