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Karsten Schuldt

Herausforderungen am ostdeutschen Arbeitsmarkt

Die nunmehr fast zwölf Jahre anhaltende Arbeitslosigkeit von stets mehr als 15 Prozent in den neuen Bundesländern – über mehrere Jahre lag diese sogar deutlich über 20 Prozent – markiert ein Niveau der Dauer- und Massenarbeitslosigkeit, welches in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig ist. Allein dieser Befund verdeutlicht das Versagen oder präziser formuliert die offensichtlichen Grenzen bundesdeutscher Arbeitsmarktpolitik.

Grenzen auch deshalb, weil die Arbeitsmarktpolitik allein einer solchen Herausforderung hilflos gegenüber stehen muss. Hierbei darf insbesondere nicht vergessen werden, dass die – bis heute weitgehend unveränderten – Grundsätze bundesdeutscher Arbeitsmarktpolitik Mitte der 60er Jahre als Reaktion auf eine hohe konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit entwickelt wurden. Dementsprechend muss eine solchermaßen konstituierte Arbeitsmarktpolitik an den Herausforderungen strukturell begründeter, durch den ostdeutschen Transformationsprozess ausgelöster und durch die Art und Weise der deutschen Vereinigung verschärfte Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern scheitern. Vor diesem Hintergrund wären konzeptionelle Neuerungen der Arbeitsmarktpolitik und politikfeldübergreifende Interventionen erforderlich gewesen, um die Krise am ostdeutschen Arbeitsmarkt auch nur ansatzweise zu bewältigen. Zu nennen sind in diesem Kontext insbesondere die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, aber auch die Wissenschafts-, Bildungs- und Sozialpolitik. Letztlich muss man im Rückblick feststellen, dass die bundesdeutsche Politik insgesamt vor den Anforderungen des ostdeutschen Transformationsprozesses – aufgrund falscher sozioökonomischer Befunde, mangelndem Verständnis der mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen verbundenen dramatischen Veränderungen sowie in Folge ordnungspolitischer Beschränktheit – de facto kapituliert hat. Die jüngsten Äußerungen des Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse sind nur eine mehr oder weniger freundliche Umschreibung dieses Versagens.

Gleichwohl gab es im Zuge der ostdeutschen Arbeitsmarktkrise auch einige Weiterentwicklungen bundesdeutscher Arbeitsförderung, die in der Rückschau hinsichtlich ihrer Wirkungen allerdings unterschiedlich zu bewerten sind. Zu den konzeptionellen Weiterungen gehören insbesondere die folgenden:

  • Mit den Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften ist ein neuer – in Westdeutschland vor 1990 nur vereinzelt anzutreffender – Trägertyp in der Arbeitsmarktpolitik entstanden, der inzwischen die ostdeutsche Arbeitsförderlandschaft prägt. Zunächst vielfach als Auffanggesellschaften zur Begleitung der Massenentlassungen von treuhandverwalteten Großbetrieben gegründet, haben sich diese Gesellschaften konzeptionell weiterentwickelt. Der in verschiedenen Regionen gebräuchlich gewordene Begriff der „Gesellschaften zur Arbeitsförderung, Beschäftigung und Strukturentwicklung“ verdeutlicht bereits verbal, deren vielerorts anzutreffenden strukturpolitischen Anspruch. Dieser kommt auch in den nicht selten zu verzeichnenden Ausgründungen von wirtschaftsaktiven Unternehmen aus diesen Gesellschaften zum Ausdruck.

  • Der vom Land Brandenburg unter dem Motto „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ initiierte § 249 h des Arbeitsförderungsgesetzes, heute unter dem Begriff der Strukturanpassungsmaßnahmen bekannter, verfolgt das Ziel, Maßnahmen der Arbeitsförderung für regional- und strukturpolitisch bedeutsame Vorhaben wirksam zu machen. Dieses für die Bundesanstalt für Arbeit kostenneutrale Instrument – es werden Lohnkostenzuschüsse an die Träger dieser Maßnahmen gezahlt, die der durchschnittlichen Höhe von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe entsprechen – ist einer, wenn nicht der bedeutendste Entwicklungsfortschritt bundesdeutscher Arbeitsmarktpolitik der letzten zehn Jahre. Aufgrund der nach wie vor existenten Inkompatibilitäten bundesdeutscher Arbeits- und Wirtschaftsförderung sind diesem Instrument gleichwohl – vor allem administrative – Grenzen gesetzt.

  • Aufsetzend auf landespolitischen Initiativen und Erfahrungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen zu Beginn der 90er Jahre fand in vielen ost-, aber auch in westdeutschen Bundesländern ein neuer arbeitsmarktpolitischer Förderansatz Verbreitung, der unter solchen Begrifflichkeiten wie „Soziale Betriebe“ (Niedersachen), „Arbeitsförderbetriebe“ (Berlin) oder „Marktorientierte Arbeitsförderbetriebe“ (Mecklenburg-Vorpommern) gefasst wurde. Charakteristisch für diesen Förderansatz ist die Verknüpfung von arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Zielstellungen: Existenz- bzw. Unternehmensgründungen sollen durch und mit Personen aus arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen realisiert werden. Auch wenn die bisherigen Erfahrungen ambivalent ausfallen, ist der konzeptionelle Ansatz der Verbindung zweier Politikbereiche gleichwohl positiv zu bewerten.

  • Ebenfalls auf landespolitischer Ebene der Arbeitsmarktpolitik hat ein weiteres Novum Einzug gehalten: In Mecklenburg-Vorpommern ist der Einstieg in einen Öffentlichen Beschäftigungssektor vollzogen worden. In der Modellregion Rostock werden vom Land, vom örtlichen Arbeitsamt sowie von weiteren regionalen Kofinanziers sogenannte „Gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte“ unterstützt. Charakteristisch für diesen Förderansatz ist zum Einen, dass in einem breiten regionalen Konsens Projekte von hoher gesellschaftlicher Relevanz – nicht nur in sozialen Bereichen – definiert und umgesetzt werden. Zum Anderen wird es diesen Projekten ermöglicht, für die angebotenen Leistungen Einnahmen zu erwirtschaften, die zumindest teilweise die Kosten decken – für die Verfasstheit bundesdeutscher Arbeitsmarktpolitik eigentlich ein ordnungspolitischer Sündenfall, gleichwohl von den regionalen und landespolitischen Akteuren vor dem Hintergrund der dramatischen Arbeitsmarktsituation gedeckt.

Fasst man die erste Nachwendedekade zusammen, muss ungeachtet dieser und anderer einzelner Weiterentwicklungen konstatiert werden, das sich die bundesdeutsche Arbeitsmarktpolitik primär auf das Krisenmanagement des ostdeutschen Transformationsprozesses beschränkt hat; und dies nicht einmal sonderlich erfolgreich. Vor allem passive Antworten auf die Herausforderungen des Arbeitsmarktes der neuen Bundesländer – Kurzarbeit Null für zeitweise mehr als zwei Millionen Menschen, Vorruhestandsregelungen für angeblich nicht mehr benötigte Arbeitskräfte ab 55 oder gar 50 Jahre (um die man demnächst und wieder mit viel Geld der Steuerzahler buhlen wird) sowie massenhafte Fortbildungs- und Umschulungsprogramme „in das Blaue“ hinein prägten das Bild. Demgegenüber blieben konzeptionelle Neuerungen, die den sozioökonomischen Herausforderungen eines Transformationsprozesses gerecht wurden, leider die Ausnahme.

 

Email: Karsten Schuldt
Dr. Karsten Schuldt, Studium der Arbeitsökonomie, Angestellter am PIW Progress -I nstitut für Wirtschaftsforschung, Mitglied der Memorandum-Gruppe, Arbeitsschwerpunkte: Forschung und Politikberatung in den Bereichen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftpolitik sowie regionale Strukturpoliti. Letzte Veröffentlichungen u.a.: Schuldt, K.; Grundmann, M. et. al. (2000) Arbeitsfördermonitoring – Regulierung zwischen „top down“ und „bottom up“ – Machbarkeitsstudie zum Aufbau eines Monitoringssystems als Begleitinstrument regionalisierter Landesarbeitsförderung.- LASA-Studien Nr. 37 (Hrsg. Landesagentur für Struktur und Arbeit Brandenburg).- Potsdam. Schuldt, K.; Haussmann, P. (2000)
Förderung der Qualifizierung von Beschäftigten in KMU – Studie zur Implementation, Wirkung und Wirksamkeit des Brandenburger Förderprogramms.- Reihe Forschungsberichte Nr. 16 (Hrsg. Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg).- Potsdam
Kontakt: Tel. 03328-303011, Fax 03328-303010, Maxim-Gorki-Straße 3, 14513 Teltow

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