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Erwin Meyer-Wölfing

Arbeitsförderung und Netzwerke für Entwicklung

Wie hängen die Umstrukturierung der „Arbeitsgesellschaft“ und die Arbeitslosigkeit in der Region genau zusammen? Wir erleben zur Zeit, dass die „Arbeitsgesellschaft“ grundsätzlich umstrukturiert wird. Arbeitslosigkeit, Brüche in der Berufstätigkeit und diskontinuierliche „Beschäftigungskarrieren“ werden von Ausnahmen, die nur „Randgruppen“ betreffen oder die mit singulären Strukturbrüchen zusammenhängen, zu Normalfällen, die in der Tendenz die große Mehrheit der Menschen betreffen. Zugleich gibt es besonders in ländlichen Regionen, die nicht im Einzugsbereich von Ballungsgebieten liegen, eine große Zahl von Menschen, die dauerhaft aus der Erwerbsarbeit herausgefallen sind. Sie haben keine Chance, wieder auf dem „ersten Arbeitsmarkt“ Fuß zu fassen. Beide Situationen werden zur Zeit öffentlich nur sehr eingeschränkt diskutiert.
Die Sachverhalte werden gern verdrängt; die Angst vieler Menschen, selbst arbeitslos zu werden, verstärkt diese Neigung. Die Arbeitsförderung hat häufig ein negatives Image, das mit einer überkommenen Vorstellung von Sozialarbeit einher geht. Sie ist mit der Ideologie verbunden, letztlich liege doch ein Rest von Schuld an der Arbeitslosigkeit bei den Arbeitslosen selbst. Aus diesem Blickwinkel wird die Arbeitsförderung zur „Hilfe für Versager“, „verdanken“ die Gesellschaften, die geförderte Arbeit organisieren, der Arbeitslosigkeit ihre Existenz. Sie unterliegen damit aber auch den Haltungen, den Denk- und Verhaltensmustern, die in der Gesellschaft und in der Region gegenüber der Arbeitslosigkeit entwickelt werden. Häufig übernehmen sogar die eigenen MitarbeiterInnen entsprechende herrschende Meinungen.

Regionale Entwicklung braucht ein „Marketing für regionale Arbeitsförderung“
Es ist eine zentrale Aufgabe der Institutionen, die geförderte Arbeit organisieren, ein eigenständiges Verhalten zu den Verhältnissen zu entwickeln. Sie müssen das Bewusstsein schärfen, dass Arbeitslosigkeit kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem ist. Sie müssen die Analysen über die reale Entwicklung der Arbeitsverhältnisse (nicht nur der Arbeitslosigkeit!) ins öffentliche Bewusstsein rücken, damit ihre Arbeit gewürdigt wird. Sie müssen dafür sorgen, dass Erkenntnisse über die „Zukunft der Arbeit“ für die Region konkretisiert und öffentlich diskutiert werden. Nur unter diesen Voraussetzungen können sie Perspektiven entwickeln, die auf breiter Basis in den Regionen mit getragen werden. Weil das Thema alle Regionen betrifft, sollte die Bereitstellung von Argumenten und ReferentInnen zum Thema „Zukunft der Arbeit“ eine Regionen übergreifende Aufgabe sein. Bei der Suche nach Partnern, die ebenfalls an einer solchen öffentlichen Diskussion interessiert sind, ergeben sich Möglichkeiten für Bündnisse, die im „normalen Geschäft“ häufig nicht sichtbar sind. In den Gewerkschaften und Parteien wird über die „Zukunft der Arbeit“ diskutiert, aber auch in Kreisen der Wirtschaft stehen neue Leitbilder für Erwerbstätigkeit zur Debatte.

Arbeitsförderung braucht regionale Netzwerke
Häufig werden Institutionen, die geförderte Arbeit organisieren, nicht als eigenständige Partner gesehen, sondern als eine Art von „Erfüllungsgehilfen“, die an der kurzen Leine der staatlichen Förderprogramme laufen und die bei Bedarf mit Aufträgen versehen werden, ohne dass ihre Funktion grundsätzlich akzeptiert würde. Daher werden ihnen viele AkteurInnen in der Region nicht die Legitimation zusprechen, eine eigene Initiative zur Stärkung der regionalen Vernetzung zu starten, obwohl ohne die regionale Vernetzung eine zukunftsträchtige Arbeitsförderung nicht denkbar ist.

Es geht um die Stärkung regionaler Netze, nicht um eine isolierte Stärkung der Arbeitsförderung
Die Arbeitsförderung braucht entwickelte Netzwerke, um mit den PartnerInnen in der Region Absprachen über Aufgaben treffen zu können, deren Erfüllung die Entwicklung der Region vorantreibt. Erst daraus kann sich mit der Zeit eine verallgemeinerbare Funktionszuweisung im Rahmen regionaler Netzwerke ergeben. Das Organisationsinteresse der Arbeitsförderung ist also identisch mit der objektiven Notwendigkeit, die Vernetzung in den Regionen zu verstärken.

Vernetzung steht im Gegensatz zu Bürokratisierung und Verstaatlichung
Es besteht die Gefahr, dass „Vernetzung“ verwechselt wird mit bürokratischen Formen der Integration von Arbeitsförderung in den Prozess der regionalen Interessenabstimmung und Planung, also mit Dezentralisierung im staatlichen Handeln. Wenn „Regionalisierung“ gleichgesetzt wird mit staatlicher Regulierung auf der regionalen Ebene, droht ein „Aus“ für Innovationen im Zusammenhang mit der Regionalisierung der Arbeitsmarktpolitik
Wir brauchen ein Verständnis von „regionaler Vernetzung“, das auf gesellschaftlicher, nicht vorwiegend auf staatlicher Aktivität beruht. Es empfiehlt sich, gedankliche Anleihen von Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden zu machen. Hier spielen gesellschaftliche Aktivitäten in den Regionen eine viel größere Rolle als in Deutschland. Es ist also eine wichtige Aufgabe, auch bei uns Aktivitäten von KMU1, von Vereinen und Verbänden zu fördern und zu entwickeln.
Das Ziel der Netzwerkarbeit muss darin bestehen, institutionellen Ballast abzustreifen und statt dessen flexible, handlungsfähige, kleinere Einheiten zu schaffen, die im Netz kooperieren. Vorwärts weisende und aktive Kräfte sollen gestärkt und Dynamik in die bestehenden Verflechtungsbeziehungen getragen werden.
Unser Begriff „Netzwerk“ ist in seinen Zielen und in seinen Regeln für den Aufbau und den „Betrieb“ demokratisch und auf Entwicklungsprozesse bezogen.
“Netzwerk“ ist zum Modebegriff geworden. In der Regel existieren sehr enge regionale Verflechtungsbeziehungen, die sind aber nicht immer förderlich für Entwicklung. Die Analyse muss sich also auf die Frage konzentrieren: Wie unterscheiden sich „regionalen Verflechtungsbeziehungen“, die der Erhaltung des Status Quo dienen, von „Netzwerken für Entwicklung“, in denen AkteurInnen in Anpassungsprozessen der Region an zukünftige Verhältnisse zusammenarbeiten?
Als Hintergrund für die Charakterisierung von „Netzwerken für Entwicklung“ soll auf das Internet verwiesen werden. Wahrscheinlich würden die folgenden Charakteristika ohne die Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten im Internet idealistisch und phantastisch erscheinen.
Netzwerke sind


–    offen nach außen: Externe Partner sind erwünscht und die Öffnung der Diskussionszusammenhänge wird gezielt betrieben, auch wenn nicht jeder zu jeder Zeit an jeder beliebigen Diskussion teilnehmen kann

  • transparent: Was im Netzwerk geschieht ist für jeden Interessierten jederzeit nachvollziehbar

  • durchlässig: Die Diskussions- und Kommunikationsknoten sind nicht gegeneinander abgeschottet

  • “polyzentrisch“: Es gibt mehrere Zentren gleichzeitig, ausgerichtet an den jeweiligen Kompetenzen der Partner und der Aufgabe

  • nicht hierarchisch: Es gibt zwar Machtverhältnisse im Netzwerk, sie sind aber nicht institutionell fixiert

  • dynamisch: Veränderung ist der Normalfall, Machtverhältnisse, Partner, Knoten im Netz können wechseln

  • Netzwerke sind eine Entwicklungsumgebung, die förderlich ist für die Bildung von projektorientierten Kooperationen. Netzwerke sind selbst keine geschäftlichen Beziehungen

  • Netzwerke brauchen ein Management sowohl im Aufbau als auch im Betrieb. Das Netzwerkmanagement kann nur von einer Instanz wahrgenommen werden, einer Person oder Institution, die von den Partnern akzeptiert wird

Wie können sich bestehende regionale Verflechtungsbeziehungen in „Netzwerke für Entwicklung“ wandeln?
Eine zentrale Bedeutung für die Beantwortung dieser Fragen scheinen Impulse zu haben, die Bewegungen in den regionalen Beziehungen auslösen. Interne Impulse sind häufig mit neuen Ideen verbunden, die von unüblichen Partnerschaften ausgehen. Externe Impulse sind häufig mit neuen Außenbeziehungen verbunden, mit neuen Partnern. „Netzwerke für Entwicklung“ müssen beides ermöglichen und erleichtern: Die Belebung der Außenbeziehungen einer Region und die Kommunikation unter regionalen Partnern, die normalerweise nicht zusammenarbeiten, deren Zusammenarbeit aber neue Möglichkeiten eröffnet.

Entwicklungsnetzwerke brauchen und transportieren Impulse, „Räume“ und ein Management für die Entstehung neuer Ideen

  • Es muss ein „Beziehungsmanagement“ geben, das durch die Anregung und Anbahnung neuer Partnerschaften neue Ideen hervorbringen und sowohl interne als auch externe Impulse auslösen kann.

  • Es müssen „Räume“ geschaffen werden, die neue Beziehungen ermöglichen. Das kann durch den Einsatz moderner Veranstaltungs- und Konferenztechniken wie „Future Search Conference“ oder „Open Space Conference“ erreicht werden. Sie arbeiten nach dem Prinzip „Das ganze System in einem Raum“ und machen es möglich, dass alle Partner miteinander in Kontakt treten, die an der Lösung eines konkreten Problems zusammenwirken müssen. Dabei empfiehlt es sich, externe Gäste einzuladen, die erheblich andere Erfahrungen und Kompetenzen als die Funktionsträger in der Region haben. „Räume“ von dieser Art können auch entstehen, wenn es gelingt, zu einem interessanten Thema Menschen, die an Veränderung interessiert sind, jenseits ihrer offiziellen Funktionen und außerhalb der Alltagsroutine am Kamin bei einem Glas Rotwein zusammen zu bringen. Mit der Verbreitung moderner Kommunikationsmittel werden auch „virtuelle Räume“ denkbar, Diskussionsforen im Internet oder im Intranet. Auf diese Weise lassen sich beliebig Entfernungen überbrücken, wenn die „Nähe“ der Partner auf andere Weise gewährleistet ist.

  • “Räume und Management für neue Ideen“ sollten selbst Gegenstände von Brainstormings sein. Auch hier sind zentrale Hilfestellungen denkbar, eventuell ergänzt durch Experten, die bundesweit tätig sind.

Netzwerke sind ein „Raum“ für regionale Partnerschaften
Die Arbeitsförderung entwickelt sich so, dass es zu einer immer engeren Verzahnung mit dem so genannten „ersten Arbeitsmarkt“ kommt. Die ABS-Gesellschaften2 müssen also, wenn sie sich in dieser Entwicklung behaupten wollen, zum Partner der kleinen und mittleren Unternehmen in den Regionen werden (nicht zum Konkurrenten!). Oft sind ABS-Gesellschaften die größten Arbeitgeber der Region; dann ist eine partnerschaftliche Beziehung selbstverständlich.

Der Begriff „gemeinwesenorientiert“ umfasst auch die kleinen und mittleren Unternehmen des Gemeinwesens, insbesondere die kleinen, die auf die Zusammenarbeit in der Region angewiesen sind, auf die Kunden oder die Zulieferer in der Region. Die Unternehmen spielen eine Schlüsselrolle in der regionalen Arbeitsmarktpolitik, wenn die Verzahnung von Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik ernsthaft betrieben wird. Die „Spezialisten für geförderte Arbeit“ können aber auch dadurch für die KMU nützlich werden, dass sie ihnen den Zugang zu Fördermitteln öffnen, die für sie allein nicht oder nur schwer zugänglich sind. Die ABS-Gesellschaften können darüber hinaus für beide Tarifpartner interessant werden, weil sie bei Veränderungen im Arbeitsmarkt deren Handlungsmöglichkeiten erweitern können, sowohl auf der betrieblichen als auch auf der Organisations- und Verbandsebene.

Die Arbeitsförderung muss zum Partner für die KMU in der regionalen Wirtschaftsförderung werden

  • Um alle Möglichkeiten zur Vermittlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den ersten Arbeitsmarkt auszuschöpfen, ist eine enge Zusammenarbeit mit den Unternehmen der Region unverzichtbar.

  • Der Zugang und die Zusammenarbeit zu KMU ergeben sich bei der Vorbereitung und Durchführung von Vergabemaßnahmen der Arbeitsförderung im Zusammenhang mit kommunalen Investitionen quasi von selbst.

  • Hier werden nicht nur regionale Kooperationsmodelle zwischen KMU und Arbeitsfördergesellschaften sichtbar; die ABS-Gesellschaften können auch Kooperationsbeziehungen unter den KMU selbst anregen, fördern und unterstützen.

  • Generell kann es eine Dienstleistung der Arbeitsfördergesellschaften für KMU sein, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsförderung, den Kammern, den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften über Fördermöglichkeiten für KMU zu informieren und Hilfestellung für den Zugang zu Fördermitteln zu geben.

  • Die ABS-Gesellschaften können dann eine Rolle in regionalen Entwicklungsstrategien spielen, wenn sie als Partner auch der KMU in den Regionen akzeptiert werden.

  • Die ABS-Gesellschaften können es den Unternehmerverbänden und den Gewerkschaften leichter machen, Innovationsstrategien für bestimmte Branchen auf regionaler Ebene umzusetzen, wenn es den Gesellschaften gelingt, ihre spezifischen Kompetenzen in diesen Zusammenhang einzubringen.

  • Es gibt keine ernst zu nehmende Qualifizierungsstrategie, die nicht versucht, Weiterbildung mit Arbeit zu verknüpfen, sei es mit der Erwerbsarbeit in den Unternehmen, sei es mit der Tätigkeit in öffentlich geförderten Arbeitsverhältnissen. Es ist denkbar, dass sich in den Regionen im Dreieck von Erwerbstätigkeit in Unternehmen, öffentlich geförderter Arbeit und Qualifizierung neue Strategien zur Steigerung des Arbeitsvermögens entwickeln lassen. Hier existiert auf regionaler Ebene ein Tätigkeitsfeld für Arbeitsfördergesellschaften, das bisher weitgehend brach liegt. Sowohl die Zusammenarbeit mit Unternehmen (z.B. bei Job-Rotation) als auch die Zusammenarbeit mit den Bildungsträgern der Region ist in hohem Maße entwicklungsfähig.

Wie werden Netzwerke aufgebaut und „betrieben“?
Das wichtigste Hindernis bei der Herausbildung von Netzwerkstrukturen scheint nicht darin zu liegen, dass Partner in der Region nicht kooperieren wollten. Die Hauptschwierigkeit scheint darin zu liegen, dass neue Arbeitsformen entwickelt werden müssen, die es erlauben, die Potentiale zu mobilisieren, die in der regionalen Zusammenarbeit stecken. Häufig „weiß man nicht, wie es besser geht“ und bleibt daher bei den alten Arbeitsformen. Das beginnt in den Unternehmen und Institutionen selbst und setzt sich in den Außenbeziehungen fort. Damit werden wiederum altmodische Formen der Betriebsführung und -organisation stabilisiert. Netzwerkstrukturen sind so neu, dass kaum einer genau weiß, wovon die Rede ist, wenn der Begriff gebraucht wird. Es gibt noch kein allgemein gültiges Verständnis von den Phänomenen, die sich hinter dem Begriff verbergen. Kaum einer hat Erfahrungen mit dem Aufbau und der Pflege von Netzwerkstrukturen sowie mit der Arbeit in Netzwerken; und die Erfahrungen aus der EDV-Branche lassen sich nicht ohne weiteres auf die regionale Entwicklung und die regionale Arbeitsförderung übertragen.

Da die Verallgemeinerung von Erfahrungen auf diesem Gebiet ganz am Anfang steht, entwickelt tatsächlich jeder, der sich an die Netzwerk-Arbeit macht, auch den methodischen Gegenstand mit. Das sollte in Projekten ein bewusst gestalteter Arbeitsteil werden. Die vorhandenen Kenntnisse zur Netzwerkarbeit sollten zentral gesammelt, verallgemeinert und systematisch verbreitet werden.

Anmerkungen
1 KMU: Kleine und mittlere Unternehmen
2 ABS-Gesellschaften: Arbeitsförderungs-, Beschäftigungs- und Strukturanpassungsgesellschaften

 

Email: Erwin Meyer-Wölfing
Erwin Meyer-Wölfing, 56 Jahre als, Diplomsoziologe, Vater von insgesamt fünf Kindern und in zweiter Ehe verheiratet, heute neben einer zweiten Geschäftsführerin Geschäftsführer der tamen. GmbH. in Berlin, eines kleinen Unternehmens für Projektentwicklung und projektgebundene Qualifizierung

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