xxx Alle tragen Verantwortung, vor allem für einen Wandel Interview mit dem Bundesvorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Bauernstimme: Stehen nach den ersten BSE-Fällen in Deutschland die Bauern am Pranger der Gesellschaft? Graefe zu Baringdorf: Ich habe den Eindruck, dass die Bevölkerung eher freundlich mit den Bauern umgeht, jedenfalls lassen die Reaktionen der Bevölkerung der Landwirtschaft eine große Chance, sich auf bäuerliche Werte zu besinnen. Und dass nun im Allgäu bäuerliche Betriebe von BSE betroffen sind, ändert nichts daran, dass sie offensichtlich da, wo sie Tiermehl verfüttert haben, gegen bäuerliche Werte verstoßen haben. Oder aber sie sind da, wo sie nicht wussten, was sie fütterten, weil die Tiermehlindustrie ihnen das untergemischt hat, ihrer Verantwortung nicht nachgekommen. Sie haben die Futtermittelindustrie nicht gezwungen, ihnen das offenzulegen, und beim eigenen Verband haben sie zuwenig Druck gemacht, dass er diese offene Deklaration von der Futtermittelindustrie einfordert. Diese offene Deklaration wird nun vom Europäische Parlament durchgesetzt, nachdem es in dieser Sache die Mitentscheidung bekommen hat. Das ist seit Jahrzehnten überfällig. Sie gehen davon aus, dass auf den betroffenen Betrieben Tiermehl verfüttert worden ist und das BSE verursacht hat? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, das schließt nicht aus, dass es andere Übertragungswege gibt, aber der Verlauf in Großbritannien zeigt, dass ab da, wo das Tiermehl zurückgenommen wurde, auch die Zahl der BSE-Fälle rückläufig ist, wenn auch mit einer Zeitverzögerung, die mit der langen Inkubationszeit zusammenhängt. In der Berufsschule, in der Beratung und im Verband war von Tiermehl im Rinderfutter nie die Rede. Die Bauern müssen sich doch wie die Verbraucher auch auf etwas verlassen können. Das ist richtig, aber bei den Verbrauchern haben die Verbraucherverbände auch konsequent immer wieder Aufklärung gefordert. Das hat der Bauernverband nicht getan, statt dessen sagt er heute: da ist den Bauern wohl was untergeschoben worden. Wozu ist der Verband denn da! Wenn der einzelne Bauer heute sagt: ich hab doch kein Tiermehl verfüttert, dann nehme ich ihm das ab. Aber es bleibt eine unbedarfte Haltung, die sich jetzt rächt. Nur wenn die Bauern ihre Verantwortung für die Erzeugung von gesunden Lebensmitteln gegenüber ihren Verbrauchern und Verbraucherinnen wahrnehmen, haben sie das Recht, von der Gesellschaft zu fordern, dass sie nicht unter diesen ständigen wirtschaftlichen Druck gesetzt werden und Bedingungen erhalten, die es ihnen auch erlauben, ihrer bäuerlichen Ethik nachzukommen. Das war in der Vergangenheit durch die Agrarpolitik und auch durch das Kaufverhalten der meisten Verbraucher und Verbraucherinnen nicht gegeben. Was steht nun an? Zunächst muss den Betrieben, die durch BSE mittelbar oder unmittelbar über den Zusammenbruch des Preises Schäden erleiden, über die Länder, die Bundesregierung und die EU geholfen werden. Es gibt keinen Sinn, die ohnehin unter Druck stehenden Betriebe noch weiterhin wirtschaftlich zu belasten. Aber wir sagen auch, dies muss verbunden sein mit den ersten Schritten in eine andere Agrarpolitik, die zugunsten der bäuerlichen Betriebe und der dort arbeitenden Menschen wirkt und sie muss auch gekoppelt sein an die ersten Schritte in eine andere Logik der Lebensmittelerzeugung, d.h. auch der Praxis auf den Betrieben. Die Bauern müssen dabei ihre Verantwortung auch in der Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Verband suchen, weil hier in der Spitze Ziele verfolgt werden, die der bäuerlichen Interessenlage widersprechen. Auch diese Verantwortung nimmt ihnen niemand ab. Welche Ziele zum Beispiel? Dass der Bauernverband z.B. zugelassen hat, dass ein durchschnittlicher bäuerlicher Betrieb je Arbeitskraft 15.000 Mark an Prämien bekommt und gleichzeitig ein rationalisierter, flächenstarker Betrieb je Arbeitskraft 150.000 Mark bekommt. Oder die Verhinderung der Grünlandprämie. Die hatten die EU-Kommission und das Europäischem Parlament zusammen mit der Streichung der Silomaisprämie vorgeschlagen, sie ist aber dann vom Bauernverband massiv bekämpft worden und von der alten Bundesregierung schließlich zurückgewiesen worden; die Maisprämie ist geblieben. Das ist ein Beispiel, wie die traditionellen Milchgebiete, also die Grünlandgebiete, durch eine Fehlentscheidung, hinter der natürlich wirtschaftliche Interessen stehen, zusätzlich unter Druck geraten sind. Auch bei der Frage, wie die Milch in den Grünlandstandorten zu sichern ist, wenn denn die Milchquote möglicherweise 2006 fällt, werden die unterschiedlichen Interessen wieder deutlich werden. Wenn der Druck aus den eigenen Reihen auf den Bauernverband nicht kommt, sieht man, wie er Fehlentscheidungen unterstützt, die zu Lasten der bäuerlichen Landwirtschaft gehen. Kanzler Gerhard Schröder hat auf dem EU-Gipfel in Nizza eine Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik gefordert. Wird das in Brüssel und in Berlin Erfolg haben? Die EU-Kommission hat ein Papier herausgegeben, worin sie auf die Äußerungen von Kanzler Schröder eingeht und darauf hinweist, dass es vor allen Dingen Deutschland und Frankreich gewesen sind, die alle vernünftigen Reformansätze, die in der Agenda 2000 enthalten waren, vom Tisch gewischt haben. Wenn Schröder von Agrarfabriken wegkommen will, dann hätte daraus bei der Agenda 2000 eine andere Politik folgen müssen, oder sie muss jetzt folgen. Das ist das Problem: Der Kanzler hat die Stimmung in der Bevölkerung aufgenommen, das mag in der zukünftigen Auseinandersetzung um die Wege in der Agrarpolitik hilfreich sein. Aber ich bin ziemlich sicher, dass es auch starke Kräfte gibt, die dem wieder entgegen stehen. Und wenn der öffentliche Druck dann nachlässt, beurteilt der Kanzler die Notwendigkeit zu Änderungen in der Agrarpolitik möglicherweise wieder anders, zumal ihm dann die Industrie mit ihrer Interessenlage auf die Pelle rückt. Als Ersatz für Tiermehl muss der Anbau von Eiweißpflanzen ausgeweitet werden. Dem steht das Blair-House-Abkommen entgegen. Wird sich hier was ändern? Das Blair-House-Abkommen war für Europa schädlich, es läuft im Jahr 2001 aus. Frankreich hatte schon vor dieser BSE-Krise in Deutschland den Landwirtschaftsminister Funke aufgefordert, gemeinsam dafür zu streiten, mehr für den Anbau von Eiweißpflanzen in Europa zu tun. Das hat Funke damals noch abgelehnt. Was aber jetzt unmittelbar notwendig ist, ist den Anbau von Leguminosen auf den Stillegungsflächen zuzulassen, eine alte Forderung des EU-Parlaments, des Bundestages und der AbL. Wir wollen genau wie im biologischen Landbau auch unser Eiweiß und zu einem großten Teil auch unseren Stickstoff in unseren Betrieben selbst erzeugen. Außerdem wäre diese Flächenstillegung, obligatorisch in die Fruchtfolge eingebaut, ein größerer ökologischer Schub in der gesamten Landwirtschaft als wenn wir den Bioanbau verdoppeln würden, wogegen natürlich nichts spricht. Man darf aber nicht vergessen: Die Düngemittelindustrie würde grob gerechnet 1,5 Mrd. DM verlieren, und es würde ein Wert von 5 6 Mrd. DM an Eiweißfutter geschaffen; das wären Auftragsverluste für die Agrarindustrie. Durch BSE beginnt die Auseinandersetzung um Alternativen zur bisherigen Ausrichtung der Agrarpolitik in der industriellen Logik ja nicht erst. Wenn die Politik will, hat sie viele Möglichkeiten, die Betriebe darin zu unterstützen, jetzt aus der Produktion von Masse in die Erzeugung von Klasse, also von Qualitätsprodukten für den regionalen Markt zu kommen.
|
|||
Email: F.-W.
Graefe zu Baringdorf |
|||
WEITERFÜHRENDE LINKS: www.bauernstimme.de | |||
| TOP | DIESE SEITE DRUCKEN| |