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Stefan Ofteringer

Agrarreformen als Instrument der Ernährungssicherung

Trotz aller wohlwollenden Erklärungen internationaler Konferenzen der letzten Jahrzehnte ist es bisher nicht gelungen, die Zahl der Hungernden in einem Maße zu reduzieren, dass von einem echten Fortschritt die Rede sein könnte. Auch das – nicht ohne Zynismus formulierte – Ziel des Welternährungsgipfels 1996, die Zahl der Hungernden bis 2015 von über 800 auf rund 400 Millionen zu senken, ist derzeit weit von seiner Erfüllung entfernt. Allen beteiligten Akteuren mangelt es offenbar an einer Strategie, Ernährungssicherheit und -souveränität besonders für ländliche Armutsgruppen herzustellen. Ein zentrales Instrument zur Verbesserung der Ernährungslage bieten Agrarreformen, die durch die gerechtere Verteilung von Land vielen von Hunger Betroffenen eine Ernährungsgrundlage bieten könnten. In der internationalen Debatte findet dieses Instrument allerdings zu wenig Beachtung. Die Menschenrechtsorganisation FIAN hat sich gemeinsam mit der internationalen Kleinbauernbewegung La Via Campesina zum Ziel gesetzt, den Kampf für Agrarreformen zu stärken. Ihre Forderung nach einer „neuen Agrarreform“ verbindet die Frage der Landverteilung mit einer Demokratisierung der Produktionsverhältnisse und dem Schutz der Ernährungsgrundlagen. Die Kampagne Brot, Land und Freiheit hat sich zum Ziel gesetzt, die Menschenrechte der armen Landbevölkerung zu schützen und durchzusetzen.

Ungerechte Landverteilung ist Ursache für Hunger
Ausgangspunkt zur Stärkung von Agrarreformen als Instrument im Kampf gegen den Hunger ist die Tatsache, dass eine große Zahl der von Hunger und Unterernährung Betroffenen auch heute noch auf dem Land leben. Sie verfügen im Allgemeinen über die notwendigen Kenntnisse, um ausreichend Nahrungsmittel für sich und ihre Familien zu produzieren. Traditionelle kleinbäuerliche Anbaumethoden in Mischkulturen zur Selbstversorgung gehören zur Tradition kleinbäuerlichen Wirtschaftens in vielen Ländern des Südens. Der Landbevölkerung mangelt es aber am Zugang zu Land als der zentralen Ressource, um in Würde leben zu können. Der Landbesitz in den betroffenen Ländern ist besonders stark konzentriert.

Einige Daten erhellen diesen Gegensatz: In Brasilien sind 89 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe kleiner als 100 ha, nehmen aber nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ein. Die Dramatik dieser Zahlen wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass weit über vier Millionen Familien der Landbevölkerung als Landlose gelten. Die Hälfte der 31,5 Millionen Brasilianer, die unter Hunger leiden, leben auf dem Land. Der Großgrundbesitz schafft für die Betroffenen auch keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten, um ein angemessenes Einkommen zu erzielen, denn große Teile der Latifundien sind Brachland, das nicht produktiv genutzt wird.1 Das Beispiel Brasilien ist auf viele andere Länder der südlichen Hemisphäre übertragbar. In vielen Staaten hat die koloniale Vergangenheit eine Tradition des Großgrundbesitzes begründet, die sich bis heute erhalten und durch die Kommerzialisierung der Landwirtschaft im Rahmen von grüner Revolution und Globalisierung noch weiter verstärkt hat.

Die schreiende Ungerechtigkeit der Landverteilung macht die Agrarfrage hoch konfliktiv. Nach Angaben der brasilianischen Landpastorale hat es seit Mitte der achtziger Jahre etwa 5.600 Landkonflikte gegeben, die mit über 1.100 Morden an Aktivistinnen und Aktivisten verbunden waren. Genauso wie in Brasilien kommt es auch in Ländern wie Honduras oder den Philippinen immer wieder zu Massakern und politischen Morden bei Landkonflikten. Hintergrund dieser Konflikte sind zumeist gewaltsame Vertreibungen durch Großgrundbesitzer, die Land beanspruchen, auf dem Kleinbauern leben und arbeiten. Besetzungen von Großgrundbesitz durch Landlose, die ihre Rechte einfordern, werden häufig mit staatlicher oder parastaatlicher Gewalt bekämpft. Im Zuge der Globalisierung haben die Konflikte um Land, das von der Agroindustrie beansprucht wird, zugenommen und an Schärfe gewonnen. Immer häufiger setzen staatliche Stellen Gewaltmittel im Interesse von Agromultis ein, die ihre Plantagen auf kleinbäuerliches Gebiet ausweiten.

Agrarreformkonzepte im Widerstreit
Hintergrund der sozialen Konflikte um Land sind die über Jahrzehnte verschleppten, verhinderten oder festgefahrenen Landreformprogramme. Nur in wenigen Fällen ist es in einem Land des Südens in der postkolonialen Periode seit Ende der fünfziger Jahre gelungen, durch eine Agrarreform mehr Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. In vielen Ländern wurden Reformen verhindert, da die politische Klasse häufig die traditionelle Landoligarchie repräsentierte, so dass keine Agrarreformgesetze erlassen oder ihre Umsetzung verhindert wurde. Vielfach hat die Kommerzialisierung der Landwirtschaft im Zuge der Grünen Revolution in den sechziger Jahren die Landkonzentration noch weiter verstärkt, da die Steigerung der Produktivität mit technologischen Mitteln besonders die industrielle Landwirtschaft förderte und zur Ausdehnung ihrer Anbauflächen auf Kosten der bäuerlichen Landwirtschaft führte. Einen ähnlichen Effekt auf die Landbesitzverhältnisse hat die Dominanz liberaler Wirtschafts- und Agrarpolitik seit den achtziger Jahren. Im Zuge der Globalisierung hat sich die kommerzielle Landwirtschaft noch weiter in Regionen ausgedehnt, die vorher der bäuerlichen Landwirtschaft vorbehalten waren. Internationale Marktliberalisierungen haben seit dem eine höhere Priorität als Agrarreformen. Im Rahmen dieser politischen Konjunktur sind die verteilungsorientierten Agrarreformkonzepte zunehmend durch marktorientierte Konzepte ersetzt worden, die jedoch häufig auf die Ablehnung der potenziell begünstigten Landlosen und Kleinbauern treffen.

Jüngstes Beispiel für das Scheitern eines ambitionierten Agrarreformprojektes und die Einführung von marktorientierten Prinzipien ist das Comprehensive Agrarian Reform Program (CARP) auf den Philippinen. In dem südostasiatischen Staat ist die Landkonzentration traditionell hoch. Im Jahr 1971 waren rund 60 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe kleiner als 3 ha, deckten aber nur 24 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ab. Den 1,5 Millionen Kleinbauern standen rund 5.500 Großgrundbesitzer gegenüber, die alleine knapp 20 Prozent der Fläche kontrollierten. Während der Diktatur der Familie Marcos war eine Änderung dieser Verhältnisse durch eine Agrarreform nicht zu erwarten. Erst nach dem Sturz von Präsident Marcos begann eine neue Debatte um eine Agrarreform, die 1986 in einem Agrarreformgesetz mündete, das Grundlage für CARP war. CARP konnte gegen die Dominanz der Großgrundbesitzer in der politischen Klasse durchgesetzt werden und war über die ersten zehn Jahre ein überaus erfolgreiches Programm. Von knapp 8 Millionen ha, die zur Verteilung vorgesehen waren sind bis 1998 rund 60 Prozent verteilt worden. Von der Verteilung dieser zumeist staatlichen Ländereien profitierten rund 2,5 Millionen arme bäuerliche Haushalte, während 1,5 Millionen weitere Familien bereits als zukünftige Begünstigte registriert wurden.2

Der Bruch in dieser Erfolgsgeschichte erfolgte allerdings, als die Verteilung der staatlichen Ländereien weitgehend abgeschlossen war und das Agrarreformministerium DAR ab 1998 zur Enteignung und Verteilung privaten Großgrundbesitzes übergehen wollte. Der von Großgrundbesitzern dominierte Kongress kürzte die Mittel für das Agrarreformprogramm, das seit diesem Zeitpunkt praktisch zum Erliegen gekommen ist. In Folge der Blockade der Mittel für die Agrarreform sieht sich die reformwillige Administration des Agrarreformministeriums in zunehmendem Maße gezwungen, auf marktorientierte Konzepte zurückzugreifen, für die sie Mittel der Weltbank erhalten kann.

Agrarreform mit Marktmitteln?
Seit Mitte der neunziger Jahre hat besonders die Weltbank wieder begonnen, sich dem Thema der Landverteilung und der ländlichen Armut zu widmen. Die zunehmende Kritik an der weiteren Verarmung der Landbevölkerung in Folge der Strukturanpassungsmaßnahmen hat die Entwicklung einer Weltbankstrategie für Agrarreformen motiviert, die den Marktgesetzen folgt. Man ging dabei von der Annahme aus, dass durch die Einführung von Marktmechanismen in die Agrarreformpolitik die Ziele wirtschaftlicher Effizienz und sozialer Gerechtigkeit wirksamer und billiger zu erreichen seien als bei herkömmlichen Reformmodellen. Erste Experimente mit dem Modell der „marktorientierten Agrarreform“ haben jedoch gezeigt, dass die Verheißungen des Marktansatzes dem Ziel der Armutsbekämpfung nicht gerecht werden, da die ländliche Armutsbevölkerung kaum von dem kreditgestützten System profitieren kann.

In Abwendung von verteilungsorientierten Agrarreformsystemen sieht die marktorientierte Agrarreform vor, dass Bauern, die Land erhalten wollen, in direkte Verhandlung mit einem privaten Landbesitzer treten. Nach einer Einigung beider Parteien wenden sie sich an eine Landbank, die dem Verkäufer den Marktpreis des Landes bezahlt. Der Bauer erhält als Käufer einen Kredit, um die Parzelle von der Landbank zu erwerben und damit zumindest einen Teil des Marktpreises zu zahlen. Durch dieses System soll ein Anreiz für die Begünstigten der Agrarreform geschaffen werden, rentabel zu wirtschaften und ihre Schulden abzahlen zu können. Tatsächlich lässt sich die Effizienz der Agrarreform auf diesem Wege steigern, denn die langwierigen und aufwendigen Enteignungs- und Entschädigungsprozesse, die der Landverteilung vorausgehen, können auf diesem Weg umgangen werden. Andererseits wird weiten Teilen der ländlichen Armutsbevölkerung ihr Recht auf Zugang zu Land verweigert. Die kreditgestützte Landvergabe verlangt von den Begünstigten, effizient für den Markt zu produzieren. Damit sind die bedürftigeren, aber schlechter qualifizierten Familien von den Programmen ausgeschlossen, da sie den Bedingungen nicht gewachsen sind. Kreditnehmer, die aufgrund geringer Qualifikation oder anderer äußerer Umstände die Einkünfte zur Refinanzierung der Kredite nicht erwirtschaften können, laufen Gefahr, sich hoch zu verschulden und das Land wieder zu verlieren. Damit stehen sie unter Umständen schlechter da als vor der Teilnahme an dem Programm.

Erste Erfahrungen mit Agrarreformgesetzen, die sich an der marktorientierten Strategie der Weltbank orientieren, bestätigen diese Befürchtungen. In Kolumbien wurde mit dem Gesetz 100 von 1996 eine Landbank installiert, die der Finanzierung eines kreditgestützten Systems dienen soll. Seitdem ist die Anzahl Begünstigter aus dem Agrarreformprogramm erheblich zurückgegangen. Zusätzlich haben viele begünstigte Kleinbauern dem Effizienzdruck nicht standgehalten und ihr Land wieder verloren. Insgesamt hat diese Politik mit zu der dramatischen Landkonzentration in dem südamerikanischen Land beigetragen: Die Großbetriebe mit über 500 Hektar nehmen heute 19 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ein, was eine Verdoppelung ihres Anteils in einem Zeitraum von 15 Jahren bedeutet.3 Ähnliche Erfahrungen haben die Kleinbauern in Brasilien, den Philippinen und Honduras gemacht, wo die Weltbank ebenfalls Landbanken finanziert hat.

Landbanken können zwar für bestimmte Sektoren der bäuerlichen Landwirtschaft nutzbringend sein. Ihre Problematik liegt aber darin, dass sie in zunehmendem Maße als Allheilmittel angesehen werden und drohen, Agrarreformsysteme zu verdrängen, die auf Enteignung und Verteilung basieren. Die Landbanken absorbieren, wie im kolumbianischen Fall, das gesamte Budget für Agrarreformen. Letztlich wird durch diese Politik der Bodenmarkt angeheizt und die marktorientierte Produktion gefördert. In den Hintergrund treten aber die menschenrechtlichen und verfassungsmässigen Pflichten der Staaten. Das erklärte Ziel der Armutsbekämpfung wird verfehlt und dem Prinzip der sozialen Verpflichtung des Eigentums zuwider gehandelt. Jene Landlosen und Kleinbauern, die das Land vor allem benötigen, um ihre Grundversorgung zu sichern, bleiben jedoch ausgeschlossen. Der Teufelskreis von Armut und Hunger schließt sich erneut.

Agrarreform – eine menschenrechtliche Staatenpflicht
Gegenüber den traditionellen Strategien von Agrarreform als reiner Landverteilung und dem marktorientierten Konzept der Weltbank haben die Träger der internationalen Kampagne Brot, Land und Freiheit ein Konzept entwickelt, das Ernährungssicherung, Ressourcenschutz und Demokratisierung integriert. Grundlage dieses integralen Ansatzes der neuen Agrarreform sind die internationalen Menschenrechtsnormen. Das Menschenrecht auf Nahrung, wie es in Artikel 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anerkannt ist, bedeutet für Bäuerinnen und Bauern, dass sie Zugang zu den Ressourcen bekommen müssen, mit denen sie selbstbestimmt Nahrungsmittel produzieren können. Im Artikel 11.2 dieses Menschenrechtsvertrages wird die „Reform landwirtschaftlicher Systeme“ ausdrücklich als eine der wesentlichen Maßnahmen zur Umsetzung des Rechts auf Nahrung bezeichnet. Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte hat wiederholt Regierungen wegen mangelhafter Umsetzung von Agrarreformen kritisiert.

Neben dem zentralen Produktionsmittel Land bezieht sich diese Verpflichtung auch auf Saatgut und Wasser, mit denen die Produktion sichergestellt werden kann. Aus diesem Rechtsansatz heraus ergibt sich eine Verpflichtung zu Agrarreformprogrammen, die einen dauerhaften Besitz von ausreichenden Ressourcen zur selbstbestimmten Ernährung garantieren.

Darüber hinaus umfasst das Recht auf Nahrung auch ein Recht auf gesunde Ernährung, die eine Umstellung der Nahrungsproduktion auf nachhaltige Produktionsweise voraussetzt. Die Reduzierung von Pestizideinsatz und die Erhöhung der Arbeitsintensität sind nur durch die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft gegenüber der industriellen Produktion durch Großbetriebe zu leisten. Eine nachhaltige und ressourcenschonende Nahrungsmittelproduktion, die an den Bedürfnissen des lokalen Marktes orientiert ist, macht Agrarreformen ökonomisch tragfähig. Diese menschenrechtlich begründete Agrarreform bietet die Möglichkeit, den Armen auf dem Lande einen Weg aus der Hungerfalle zu ermöglichen und die Prozesse sozialer Ausgrenzung aufzuhalten.

Für das Bündnis zwischen der internationalen Bauernbewegung Via Campesina und der Menschenrechtsorganisation FIAN gilt es, eine günstige Konjunktur zu nutzen. Seit dem Welternährungsgipfel von Rom ist die „Erfüllung des Rechts auf Nahrung für alle“ auf der internationalen Agenda. In der Abschlusserklärung der Weltkonferenz wurde die Bedeutung von Agrarreformen für dieses Ziel betont. Obwohl die Erklärung keine Verpflichtung für die Akteure darstellt, lassen diese sich aus dem Menschenrechtspakt selbst ableiten, dem über 150 Staaten angehören. Dabei gilt es vor allem, Fehlentwicklungen wie der marktorientierten Landreformprogrammatik entgegenzutreten. Um die Implementierung von Agrarreformen zu erreichen, die das Menschenrecht auf Nahrung für die Landbevölkerung sichern, bedarf es einer Strategie, die Bauernbewegungen in ihrem Kampf für Landreformen stärkt. Der menschenrechtliche Ansatz bietet konkrete Eingriffsmöglichkeiten in politische Konflikte um Agrarreformen auf nationaler und internationaler Ebene.

Günstige Bedingungen für Agrarreformen schaffen
In Ländern, in denen starke Landlosen- und Bauernbewegungen mit einer hohen Mobilisierungsfähigkeit existieren, ist die Landfrage nicht von der Tagesordnung der Politik zu verdrängen. Die Wirksamkeit ihrer Aktionen kann durch die internationale Vernetzung mit anderen Bewegungen verstärkt werden. Im Falle Brasiliens hat diese internationale Solidaritätsarbeit beispielsweise einen ersten Teilerfolg erzielen können. Das dort bestehende Pilotprojekt einer Landbank sollte im Frühjahr 2000 mit Mitteln der Weltbank auf das ganze Land ausgedehnt werden. Die Ablehnung der Bauern- und Landlosenbewegung, die sich im Forum für Agrarreform und Gerechtigkeit auf dem Lande zusammengeschlossen hat, wurde von vielen anderen Bauernbewegungen unterstützt. Internationale Briefaktionen an die brasilianische Regierung und die Direktion der Weltbank konnten erreichen, dass der Kredit für dieses Projekt deutlich reduziert wurde. Die Debatte um die weitere Agrarreformpolitik hat so neue Impulse erhalten. Weitere wichtige Impulse konnte die internationale Kampagne auch bezüglich der Agrarreformgesetzgebung in Honduras geben. Dort haben die Bauernbewegungen der Regierung die Zusicherung abgerungen, ein neues Agrarreformgesetz unter Einbeziehung der Bauernbewegungen zu verhandeln.

Neben dem Einfluss auf die nationalen Agrarreformdebatten ist die entwicklungspolitische Komponente von besonderer Bedeutung. Als Geberstaaten und Mitglieder der multilateralen Entwicklungsinstitutionen tragen auch die Regierungen des Nordens Verantwortung für die Einhaltung des Rechts auf Nahrung und die Schaffung günstiger Bedingungen für Agrarreformen. Im Rahmen eines neuen Sektorvorhabens Welternährung hat die Leitung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit den herausragenden Stellenwert des Rechts auf Nahrung und die Bedeutung von Agrarreformen betont.4 Die Anerkennung ihrer menschenrechtlichen Verpflichtungen sollte sich in einer Überprüfung der bisherigen Politik auswirken und langfristig zu einer Stärkung der Armutsbekämpfung durch Agrarreformen beitragen. Konkrete Schritte in Richtung einer Überprüfung der Projekte marktorientierter Agrarreform der Weltbank hat das deutsche Trägerbündnis der Kampagne Brot, Land und Freiheit bereits 1999 eingefordert. Eine Prüfung der Weltbankpolitik müsste nach Auswertung der bisherigen Erfahrungen dazu führen, dass die Bundesrepublik sich mit ihrem Gewicht in der Weltbank für eine Neubestimmung der Agrarreformpolitik einsetzt. Zusätzlich könnten Agrarreformprozesse gestärkt werden, wenn sie als Elemente in die neue Armutsbekämpfungsstrategie der Weltbank einfließen würde. Die Glaubwürdigkeit der menschenrechtlichen Orientierung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit wird sich an diesem Anspruch messen lassen müssen.

Der Druck in Richtung eines Wandels in ihrer Politik zielt auch auf die Weltbank selber, denn sie hat sich die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben. Eine Überprüfung ihrer marktorientierten Agrarreformpolitik nach menschenrechtlichen Kriterien durch die bankeigenen Prüfungsinstitutionen (inspection panel) wurde im Falle Brasiliens bereits gefordert, bisher aber abgelehnt. Die Welle der Ablehnung der marktorientierten Politik in anderen Ländern wird diesen Druck in Zukunft verstärken.

Für einen effektiven Einsatz für eine neue Agrarreformpolitik hat das Bündnis aus der internationalen Menschenrechtsorganisation FIAN und der Bauernbewegung La Via Campesina erste Ansätze entwickelt. Die Umsetzung der „neuen Agrarreform“ ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft, denn sie geht weit über die reine Schaffung des Zugangs zu Land hinaus. Die Agrarreform ist ein wichtiges Instrument, damit Bäuerinnen und Bauern ihre Lebensbedingungen selbstbestimmt verbessern können. Sie ist ein Modell des Übergangs zu einer anderen Form von Landwirtschaft und für eine neue Zukunft des ländlichen Raums. Damit stellt ihr Kampf hohe Anforderungen an Bewegungen, Organisationen und Einzelpersonen in Nord und Süd. Die Kampagne Brot, Land und Freiheit hat sich zum Ziel gesetzt, eine Brücke zwischen den Menschen zu schaffen, die sich für eine gleichberechtigte Zukunft aller einsetzen wollen.

Anmerkungen
1    Alle Zahlen: Landwirtschaftszensus 1996, Instituto Brasileiro de Geografia e Estadistica.
2    Polestico, R.V., A.B. Quizon, P.Hildemann (1998): Agrarian Reform in the Phillipines, Bonn, Deutsche Welthungerhilfe.
3    Economia Colombiana, Nr. 278, Juni 2000.
4    Statement der parlamentarischen Staatssekretärin Dr. Uschi Eid anlässlich der
Grünen Woche 2000 Berlin.

Literatur
FAO (1996): Rome Declaration on World Food Security and World food Summit Plan of Action.
FIAN (Hg.) (1998):Brot, Land und Freiheit, Globale Kampagne für die Agrarreform in Brasilien, Herne.
Hiedl, Peter (1996): Das Ende der Agrarreform in Lateinamerika, Neoliberale Modernisierung und die Konsequenzen für den Agrarsektor, Herne (FIAN).
UNO: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte.

aus: Kritischer Agrarbericht, 2000. Hg.: AgrarBündnis e.V, Bramsche; Arbeitsgemeinschaft Ländliche Entwicklung an der Universität Gesamthochschule Kassel

 

Email: Stefan Ofteringer
Stefan Ofteringer ist Geschäftsführer von FIAN (FoodFirst Informations- und Aktionsnetzwerk). FIAN ist einer der Träger der Kampagne „Brot, Land und Freiheit“ in der Bundesrepublik Deutschland. Kampagnenmaterial kann bei FIAN bestellt werden. Dort sind auch die Eilaktionen (in englischer Sprache und per E-Mail) zu beziehen.
Kontakt: FIAN Deutschland, Overwegstr. 31, 44625 Herne, Tel. 02323/ 49 00-99 Fax 02323/4900-18.

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