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Solidarisches Wirtschaften - wider die Zerstörungen

Es diskutieren: Heide Mertens, Carola Möller, Ulla Peters und Irina Vellay

In einer detallierten empirischen Studie1 untersucht Heide Mertens anhand des Kölner Stadtteils Mülheim Art, Umfang, Vernetzung, Verteilung und Bewertung der unbezahlten Arbeit im Kontext von Erwerbsarbeit. Die Untersuchung ist Teil einer Stadtteilinitiaitve zur Neugestaltung einer größeren Industriebrache mit versorgungsnahen Angeboten in einem Wohngebiet mit hoher Erwerbslosigkeit. Im Anhang der Untersuchung ist ein unfangreiches Gespräch dokumentiert zwischen Heiden Mertens (Politologin), Carola Möller (Sozialwissenschaftlerin), Ulla Peters (Sozialwissenschaftlerin) und Irina Vellay (Stadtplanerin). Dabei werden u.a. die Erfahrungen aus Köln-Mühlheim mit dem wesentlichen größeren Ausmaß an Zerstörung, aber auch den selbstbestimmten Versorgungsansätzen in Detroit (USA), Nottingham (England) und Wolfen-Nord (Sachsen-Anhalt) verglichen.
Die hier dokumentierten Auszüge aus dem Gespräch, stellen schwerpunktmäßig die Unterschiede der jeweiligen Möglichkeiten der Arbeit in den Stadtteilen vor
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CM: Wir vier beschäftigen uns seit längerem forschend in unseren unterschiedlichen Fachbereichen und in unserer je eigenen alltäglichen Projektepraxis mit den Möglichkeiten eines Wirtschaftens und Arbeitens, welches nicht in die Konkurrenzbedingungen und Profitziele des internationalen Marktes eingebunden ist, sondern eine ‚gute Lebensqualität’ für alle in ihrer jeweiligen lokalen Einheit zum Ziel hat. Ansätze hierzu gibt es in allen Industrieländern, unter anderen Rahmenbedingungen auch in den sogenannten Dritte-Welt-Ländern. Ihr habt gerade in den letzten Monaten eurer jeweiligen Forschungen neue Erfahrungen dazu sammeln können: in einem Stadtteil in Köln, in England und den USA. Was verstehen die Menschen dort unter „Neuer Arbeit“, unter anderem Wirtschaften und Leben?

Unbezahlte Arbeit in Köln-Mülheim

HM: Ich habe in meiner Studie in Köln an der unbezahlten Arbeit in den Haushalten angesetzt und dort nach dem Beitrag der Haushalte zum sozialen Wohlbefinden gefragt. Dabei wurde deutlich: Alles, was die befragten Menschen in Mülheim unbezahlt im Haushalt gemacht haben, hatte durchaus materielle Ziele, nämlich etwas für die Haushaltsmitglieder herzustellen. Gleichzeitig aber war alles dies mit anderen Werten verbunden: Die Suche nach einem persönlichen Lebensstil, die Marmelade sollte so schmecken, wie man das wollte, der selbst geschreinerte kleine Tisch so aussehen, wie einem das selber gefällt. Wichtig war den Befragten zudem, mit anderen aus der Familie oder mit Nachbarn, FreundInnen zusammen etwas zu tun, also die spürbare Einbindung in soziale Zusammenhänge.

UP: Das heißt, in der Arbeit steckt schon das „Für andere“ drin ebenso wie das „Mit anderen“.

HM: Ganz typisch war das Marmeladekochen. Das war immer eine gemeinsame Aktion. Man hat zusammen die Früchte gesammelt, da war vielleicht die Tante dabei, und die Marmelade wurde immer auch verschenkt. Drei Gläser gingen an die Mutter und zwei an die Freundin. Natürlich hat Marmelade kochen heute nicht so einen materiellen Wert, die kann ich meist billiger kaufen. Aber da werden die anderen Werte des Arbeitens deutlich.

UP: Du sagst gleichzeitig, es hat immer auch eine materielle Komponente.

HM: Ja sicher, aber man geht mit dem Materiellen anders um. Das war einigen gerade wegen ihrer Kinder wichtig. Sie sagten, ich zeige meinen Kindern damit auch andere Werte. Ich zeige ihnen, man muss nicht alles kaufen, nicht gleich alles wegwerfen, man kann ein altes Schränkchen auch restaurieren.

CM: Waren das bestimmte Haushalte, die sich auch der nicht-materiellen Werte bewusst waren?

HM: Es waren vor allem die Familienhaushalte mit sicherem Einkommen. Haushalte, die am wenigsten hatten, konnten sich solche andere Arbeit am wenigsten leisten, denn die hatten kleine Wohnungen, keine Gärten, wenig Geld, um Material zu kaufen, zudem wenig soziale Kontakte und ein unsicheres niedriges Einkommen.

UP: Das heißt, ein anderes Wirtschaften und Arbeiten ist nicht voraussetzungslos.

CM: Es reicht eben nicht nur, diese emotionalen Werte zu stärken, sondern sie brauchen eine materielle Basis.

Zerstörte Städte

UP: Wenn man Leute aus den USA einlädt, aus solchen Gebieten, wo Irina jetzt war, dann sagen die immer: Was wollt ihr denn, ihr habt doch noch funktionierende Strukturen. Das was man in US-Städten an Zerstörung vorfindet, das kann man sich hier meistens nicht vorstellen. Ich sehe dann allerdings, was hier notwendig wäre, um dieses Elend zu verhindern, z.B. in Gebieten mit viel Erwerbslosigkeit wie Wolfen-Nord, eine Plattenbausiedlung, ein Wohnort für viele ehemalige IndustriearbeiterInnen. Dort frage ich im Rahmen meines Projekts nach den Möglichkeiten für nachhaltiges regionales Wirtschaften. Nottingham in England habe ich besucht, um mir einige Projekte für kommunale und Gemeinschaftsgärten anzusehen. Da konnte ich genau sehen, wohin diese jahrelange Ignoranz gegenüber bestimmten Fragen sozialer Entwicklung führt: Die Gewalt zieht in die Stadtteile ein, die Drogenökonomie wird beherrschend und setzt ihre eigenen Regeln durch. Ich habe in Nottingham in einem Stadtteil gelebt, da konnte man abends nicht rausgehen.

IV: Was ich über die Stadt Detroit, früher eine reiche Industriestadt, und die heutigen elenden Lebensbedingungen dort berichten kann, ist sicher nicht erfreulicher. Mit der Regierungsinitiative Empowerment Zone/Enterprise Communities sollen verarmte, sozial destabilisierte und oftmals de-industrialisierte Gemeinden und Stadtteile revitalisiert werden. In Detroit lebten 1990 in dem ausgewiesenen empowerment zone-Gebiet 47 Prozent der Einwohner unterhalb der Armutsgrenze, und die Arbeitslosenrate lag bei 29 Prozent Die Drogenökonomie hat seit Mitte der 80er Jahre vor allem die männlichen Jugendlichen in ihren Teufelskreis gezogen. Die ärmeren neighborhoods in den großen Städten wurden in der Folge durch die um Einzugsgebiete kämpfenden gangs in Kriegszonen verwandelt. Dazu kommt, schwarze Jugendliche werden schon bei kleinen Ordnungswidrigkeiten kriminalisiert. Man spricht mittlerweile von einer ganzen Generation mit Gefängniserfahrung.

Prozesse der Selbstorganisation
IV: Ich fange einmal damit an, was bei den amerikanischen Projekten, also nicht bei den offiziellen Dritte-Sektor-Projekten, sondern den Basisprojekten wichtig war. Das sind die selbstorganisierten Projekte, die der Selbstversorgung dienen und auch zum Teil einen politischen Anspruch haben. Selbstorganisiert sind die Projekte, die nicht oder ganz wenig in formalisierte Strukturen eingebunden sind. Sie sind nicht in der Förderung des Dritten Sektors.
Auffallend ist, die Aktivisten reden gar nicht so viel über Arbeit, sondern mehr über die Prozesse selber. Das Konzept von Bergmann spielt für sie keine Rolle. Wichtig für sie ist der unmittelbare gegenseitige Austausch, von Person zu Person. Handeln ist hier immer eingebettet in soziale Beziehungen, das läuft unter dem Stichwort Trust, also man vertraut sich. Das ist ganz wichtig. Der Austausch ist bargeldlos, es gibt eben in diesem sozialen Milieu kaum Geld, es sei denn über die Leute, die gut verdienen und sich aus ideellen Motiven hier engagieren. Darüber hinaus ist der Ortsbezug ganz wichtig. Konkret: das neighborhood, die community. In diesem Rahmen soll für die lokalen Bedürfnisse produziert und die Versorgung organisiert werden. Die community gardens sind ein Teil einer solchen lokalen Versorgung. Für die überlokalen Beziehungen bewegt man sich in Netzwerken.

UP: Das sind also keine Kleingartenanlagen wie bei uns, sondern Gärten, die sie zusammen bearbeiten. Jeder hat zwar ein bestimmtes Stück zur Verfügung, aber sie machen es zusammen. Accessability, Zugänglichkeit, ist ein wichtiger Begriff. Die Gärten sollten für jeden zugänglich sein.

IV: In aller Regel gibt es keinen Zaun. Und das ist schon erstaunlich, denn in Detroit hungern gar nicht so wenig Leute, sie haben einfach zu wenig zu essen. Man würde eher erwarten, da wird einfach abgeräumt. Das ist aber nicht so. Das Gemeinsame wird respektiert. Es wird darüber gesprochen, und wer etwas braucht, darf sich etwas nehmen. Das Erhalten der Gärten ist ein Problem. Es gibt Beispiele, wo es gut geht und wo es nicht gut geht.

UP: Und die haben keine Professionellen?

IV: Es gibt ganz unterschiedliche Gärten und auch ganz unterschiedliche Gruppen, die die Gärten nutzen. Sie machen die Arbeit im Prinzip alle selber. Manchmal gibt es ein bißchen professionelle Unterstützung, z.B. über die Hunger-Action Coalition. Ein Mitarbeiter dort kommt von einer Farm und kann Traktor fahren. Aber das ist alles sehr informell, was solche Dinge angeht. Weiterhin spielen die murals (Wandgemälde) eine große Rolle. Im Detroit Institut of Arts gibt es die berühmten Wandgemälde von Diego Riviera als Vorbild. Sie entstanden in den 30er Jahren. Die Jugendlichen malen in dieser Weise ihre eigenen Wandgemälde. Sie organisieren das untereinander, und irgendwo an irgendeinem Gebäude wird eine Wand gestaltet. Oft werden sie auch von Kirchengemeinden oder Community Based Organizations darum gebeten. Damit wollen die Jugendlichen im öffentlichen Raum positive Botschaften vermitteln.
In Detroit wurde auch versucht, Recyclingprojekte aufzubauen. Das läuft zum Teil, zum Teil auch nicht. Es ist immer ganz schwierig zu sagen, in welchem Zustand ein Projekt ist. Da gibt es z.B. einen Betrieb, die Avalon Bakery, das ist eine Ökobäckerei, die auch deshalb gut funktioniert, weil sie in dem Umfeld dort gut verankert ist mit all den Gruppen, die da vor Ort sind. Die Leute kaufen eben dort. Dann gibt es seit knapp dreißig Jahren den Cass Corridor Food COOP. Das ist ein Laden, vielleicht 160 qm groß. Die COOP hat 14000 Mitglieder, auch über Detroit hinaus. Da sieht man, die Vernetzung funktioniert auch über eine Stadt hinaus, nur so kann die COOP sich halten. Jetzt gerade wird versucht, neue Kooperativen auf handwerklicher Basis zu entwickeln.
Die Community Gardens sichern in den USA einen Teil der Ernährung. Food Security ist für die Leute dort existentiell, das wird auch so diskutiert. Sie versuchen, damit im Stadtgebiet eine Ernährungsbasis aufzubauen, also ganz anders als hier, wo das eher eine Ergänzung ist.
HM: In Mülheim hatte der Garten qualitative Momente. Sicher, kaufen kann man in Mülheim alles, auch billig. Aber das mit den Gärten war trotzdem ein wichtiges Thema für die Befragten. Einen Garten wünschten sich viele, teilweise um Gemüse zu ziehen, aber auch um Grün zu haben, um es schön zu haben, damit die Kinder draußen spielen können.

IV: In den Projekten in Detroit ist gesunde Ernährung ein wichtiger Aspekt. Gerade unter den amerikanischen Verhältnissen ist es ja so: Man kann mit Geld, so man welches hat, alles kaufen, also auch die beste Ernährung. Die untersten Schichten müssen mit dem Allerschlimmsten, den stark chemisierten Lebensmitteln zufrieden sein.

CM: Erinnerst Du Dich an Tschernobyl? Die Reichen hatten schon die Möglichkeit, unverstrahlte Lebensmittel zu bekommen. Aber die Armen aßen den verstrahlten billigen Salat.

UP: Gesundheit ist auch unter den Selbstorganisierten in England ein Thema. Die Krankenversorgung bei uns ist im Vergleich zu England ja noch gut.

IV: Das ist in den USA viel dramatischer, denn Menschen mit niedrigem Einkommen haben keine Krankenversicherung. Wenn sie krank werden, stehen sie auf dem Schlauch. Das heißt, wenn man Kinder hat, und es wird eines krank, wird ärztliche Versorgung erst in Anspruch genommen, wenn es ein Notfall ist. Den Stress für Eltern muß man sich mal vorstellen!

„Neue Arbeit“ – neue Werte

UP: Was lernt man aus all dem, was wir jetzt erfahren haben, für die Qualität von „Neuer Arbeit“, was lernt man darüber, was den Leuten lebenswichtig ist?

IV: In Detroit ging es eigentlich darum, soziale Beziehungen zu schaffen und zwar über Arbeit für etwas Gemeinsames.

UP: Vielleicht, weil man wusste, dass man es sonst nicht hinkriegt.

IV: Weil die Katastrophe der sozialen Beziehungen so sichtbar ist, – gleichviel ob das die Drogen bewirken oder der enorme Leistungs- und Konkurrenzdruck. Die Menschen dort können häufig überhaupt nicht mehr miteinander umgehen, sprechen oder etwas planen. Dort erzählte mir ein Aktivist, sie haben versucht, eine Nachbarschaftsversammlung einzuberufen. Ein Teil der BewohnerInnen ist nicht gekommen, weil sie wussten, wenn sie weggehen, dann würden ihre eigenen Nachbarn bei ihnen einbrechen. Anfangen müssen m.E. die Einzelnen damit, sich wieder soziale Beziehungen aufzubauen.

UP: Noch einmal zurück zu den Community-Garden-Projekten. Es müsste gefragt werden, was passiert da, welche Werte können da verwirklicht werden und auch, wie ist das Umfeld. In Nottingham, in dem Haus, wo ich gewohnt habe, war z.B. morgens im Vorgarten alles verdreckt, weil die Prostituierten da ihre Notdurft bzw. ihr Geschäft erledigten. Der Mieter war völlig fertig, weil er morgens die Präservative auflesen mußte. Also wie gelingt es Interessierten, sich einen Raum zu schaffen, der nicht gleich von anderen umfunktioniert wird?

HM: In Mülheim, wo ebenfalls die Spritzen in den Sandkasten geworfen wurden, haben die Eltern gesagt, wir müssen einen Zaun um das Gelände ziehen. Da gab dann Spielplätze, zu denen eben nur bestimmte Eltern Schlüssel hatten. Oder es muss eine Gruppe benannt werden, die Verantwortung übernimmt und die sich dann auch traut, etwas zu sagen, wenn ein Jugendlicher kommt und Feuer unter der Schaukel macht.

UP: In England haben die Projektleute gesagt, wenn ein, zwei Sachen kaputt gehen, und wenn man nicht alles sofort repariert, wird der Schaden größer.

AkteurInnen solidarischen Wirtschaftens

IV: Es gab in Detroit viele engagierte Leute, die einen ganz normalen Erwerbsarbeitsplatz hatten, z.B. in der Universität, als Automobilarbeiter oder auch Leute, die in diesen Community Based Organisations arbeiteten und gesagt haben: Ich möchte etwas für dieses Quartier tun, ich fühle mich verpflichtet das zu machen.

CM: Bei den Erwerbslosen hat sich in anderen Untersuchungen gezeigt, wie stark sie durch ihre Erwerbslosigkeit verunsichert sind und deshalb dann nicht mehr in der Lage sind, eine neue Verunsicherung auf sich zu laden, die ja mit diesen Formen des anderen Wirtschaftens und Arbeitens verbunden ist.

HM: Andererseits denke ich, kann man diejenigen, die solche Projekte sehr nötig hätten, gewinnen, allerdings werden sie nicht diejenigen sein, die den Anfang machen.

IV: Die Gärten werden von den Gardening Angels betreut. Diese Gardening Angels sind ein informelles Netzwerk von Rentnerinnen. Sie haben etwa 300 Gärten, eigene und community gardens in Detroit Eastside geschaffen. Die gemeinsame Idee ist, das soziale Leben in den stark zerstörten neighborhoods mit community gardens wieder zu beleben. In Kooperation mit anderen, vor allem Jugendprojekten wie Detroit Summer, werden Gemüse und Obst angebaut und mit den eigenen Familien, den Nachbarn im Quartier, Kranken und anderen Bedürftigen geteilt oder an Suppenküchen gegeben. Community gardens werden auch von anderen Gruppen betrieben – es ist geradezu eine soziale Bewegung, nicht nur in Detroit.

UP: Also es gibt schon solche, die das Projekt in Gang halten und solche, die da mitmachen, auch wenn Du von Selbstorganisation redest. Es sind nicht irgendwo fünf Leute und die sagen, wir machen jetzt einen Garten.

IV: Doch, die Gardening Angels haben sich selbst organisiert. Es gibt sie schon seit 20 Jahren. Ihr Motto ist: Wiederherstellen der zerstörten Natur. Das kann man, wenn man Detroit sieht, auch verstehen. In dieser zerstörten industriellen Landschaft mit über 40.000 brachgefallenen Grundstücken ist das noch einmal eine ganz andere Sache als in adretten Kleinstädten.
Ich habe übrigens in Detroit fast nur mit Frauen gesprochen. In diesen Bereichen sind Männer weitgehend abwesend, gar nicht da. Sie haben keine Arbeit und fallen aus den Familien heraus, sie spielen einfach keine Rolle mehr. Aber auch in den Community Based Organisations sind es die Frauen, die dort arbeiten. Es gab bei den Aktiven auch ein paar Männer, aber mehrheitlich waren die Frauen die Aktiven.

Ambivalenzen

CM: Ich würde gerne noch einmal das Stichwort „Armutsökonomie“ einbringen. Ein Vorwurf von Linken ist ja, alles was mit dem alternativen Wirtschaften betrieben würde, diene nur der Vermeidung von Armut und diene so letztlich dem System. Die Wirtschaft könne in Ruhe ihren Profit machen, wenn die Überflüssigen, die Verlierer befriedet würden mit einem Minimum.

IV: Natürlich ist es immer das Interesse der Herrschenden, den Schwächeren nur soviel zukommen zu lassen, damit sie stillhalten und noch halbwegs leben können. Das funktioniert in den USA aber schon nicht mehr. Das hat sicher auch mit der Drogenökonomie zu tun. Das System zerstört sich selbst am unteren Rand mit ganz viel psychisch zerstörten Menschen. Um sie wird sich nicht mehr gekümmert, die hungern und liegen buchstäblich auf der Straße. Solidarisches Wirtschaften entwickelt sich heute an den Stellen, welche die dominante Ökonomie übrig lässt, im Moment wenigstens. Das sind Nischen. Jede und jeder kann teilnehmen, die/der überhaupt arbeiten kann, weil der Zugang nicht über Geld funktioniert.

Voraussetzungen für ein anderes Wirtschaften und Arbeiten

UP: Wir müssen als WissenschaftlerInnen ernst nehmen, was wir vor Ort beobachten und erfahren. Empirische Untersuchungen über alternatives Wirtschaften zeigen, wie voraussetzungsvoll dieses solidarische Wirtschaften, Arbeiten und Leben ist. Gemeinsame Selbstversorgung, selbst Verantwortung zu tragen, hat Voraussetzungen, und soziale Beziehungen herzustellen, erst recht. Über solche Voraussetzungen wird z.B. im Konzept „Neue Arbeit“ von Frithjof Bergmann nicht geredet. Da heißt es nur: „Tue, was Du wirklich, wirklich willst.“ Aber so einfach läßt sich Schreibtisch-Denken nicht in Handeln umsetzen. Selbstversorgung meint eine umfassende Lebensfürsorge.

CM: Für mich sind ebenso „Selbstbestimmung“ und „Geschlechtergerechtigkeit“ Kriterien für ein anderes Arbeiten. Darüber haben Frauen ausführlich geschrieben.

HM: Ein wichtiges Stichworte ist auch „Nachhaltigkeit“. Denn vieles was produziert und transportiert wird, ist ja ökologisch völlig widersinnig, wenn auch damit viel Geld verdient wird. „Soziale Gerechtigkeit“ ist ein weiteres Kriterium. Nur eine grundsätzliche Umorientierung hilft, denn so wie der Dritter Sektor heute funktioniert, wird er die Schere vergrößern zwischen denen, die auf dem Ersten Arbeitsmarkt ganz viel verdienen und den anderen, die – selbstbestimmt vielleicht – wenig verdienen und die materiellen und psychischen Schäden aus der Profitwirtschaft bestenfalls reparieren dürfen.

Anmerkungen
1    Heide Mertens; Stiftung Fraueninitiative Köln (Hg.): Das Ganze der Arbeit. Lokale Ansätze zur Neugestaltung von Arbeit. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher, 2001, 208 S., ISBN 3-930-830-24-8

 

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