xxx
Regine Deschle

Tauschringe – eine wachsende Nische ?

Im Jahr 2001 bietet sich ein differenziertes Bild bei den Tauschringen. Der Gründungs- und Wachstumsboom der vergangenen fünf Jahre scheint sich zu beruhigen. Immer noch entstehen neue Tauschringe, jedoch verschwinden auch einige. Ähnlich sieht es innerhalb der Tauschringe aus: dem Eintreten neuer Mitglieder stehen auch Austritte gegenüber.

Entwicklungen in den Tauschringen
Im Rostocker Tauschring Wi daun wat (wo die Autorin mitarbeitet, Anmerk. der Redaktion) traten beispielsweise im letzten Jahr 46 Personen ein, während 14 Personen den Tauschring aus verschiedenen Gründen verließen. Ein Grund ist der Wegzug aus der Region wegen eines Arbeitsplatzes. Einige sind auch aus dem Tauschring ausgetreten, weil sich ihre Wünsche (Angebote und Nachfragen) nicht erfüllten und sie selbst auch mit Hilfe des Tauschrings sich nicht aktiviert haben. Das aber ist ja ein wesentliches Ziel der Tauschringe, ein Feld, einen Raum zu schaffen, in dem Menschen leichter, nämlich durch den Tausch, aufeinander zugehen können und damit ihren Weg aus vorheriger Isolation und Ausgrenzung selbständig finden können. Das zu erkennen und in eigenständiges Handeln umzusetzen ist ein langwieriger Prozess und darin unterscheiden sich Tauschringe auch von traditionellen Vereinen, in denen Vordenker (der Vorstand) für die Mitglieder „sorgen“.

Dem beschriebenen Ansatz entsprechen auch die demokratischen Prinzipien der gleichberechtigten Partnerschaft aller Teilnehmenden (kein Vorstand), der Transparenz und Freiwilligkeit, die in den meisten Tauschringen gelten. Sehr förderlich für den Prozess des Umdenkens ist außerdem die Tauschbasis Stunde gegen Stunde, die in den meisten Tauschringen gilt. Damit wird Gleichberechtigung zum Erlebnis und bewirkt Veränderungen im Wertesystem der Einzelnen.

Der weitergehende Schritt ist, sich für die Entwicklung des Tauschrings als „Gemeinschaft“ zu interessieren und schließlich auch eigenständig Verantwortung für die weitere Perspektive des eigenen Tauschrings und darüber hinaus der Tauschringbewegung zu übernehmen. Das läßt sich sehr gut in Rostock beobachten, wo der Kreis der Aktiven, die diesen Schritt vollzogen haben, zwar langsam aber kontinuierlich wächst. Das ist sicher auch auf unsere Arbeitsweise zurückzuführen, die auf Arbeits- und Interessengruppen basiert, welche für alle Teilnehmenden generell offen sind.

Gründe für das Verschwinden von Tauschringen
Für das Verschwinden von Tauschringen gibt es sicher ebenso verschiedene Gründe. Als ein Grund dafür, dass Tauschringe nach relativ kurzer Zeit eingehen, kann der Ansatz zur Gründung beobachtet werden. Wenn nämlich Vereine, Einrichtungen, Kirchen oder auch Beschäftigungsgesellschaften, um ihr Fortbestehen und mögliche ABM zu sichern, das „Projekt Tauschring“ ins Leben rufen wollen, ohne ein ausreichend interessiertes Potenzial vorzufinden und bereits bei der Projektbeantragung in der Vorbereitungsphase nach Teilnehmenden suchen, die dann unter Leitung des Trägers tauschen. Mitunter ist die organisierende ABM-Kraft nicht einmal selbst Mitglied im Tauschring. Wenn dann bis zum Auslaufen der ABM-Stelle (mitunter weniger als ein Jahr) die Zeit einfach nicht reichte, dass Mitglieder lernen, eigenständige Verantwortung zu übernehmen, fällt der Tauschring wieder auseinander.

Auf ähnlicher Ebene liegt auch ein weiterer Grund, wenn z.B. die Organisationsgruppe des Tauschring von einzelnen Personen dominiert wird, die aus irgendwelchen Gründen ausscheiden, hinterlassen diese eine so große Lücke, dass andere AktivistInnen diese nicht ausfüllen können oder wollen. Das kann zur Auflösung, im günstigen Fall zu Neugründungen führen.

Tendenzen in der Tauschringbewegung
In der Tauschringbewegung verstärkten sich zwei Tendenzen: Einerseits zur Lokalisierung in Stadtteilen in großen Tauchringen (wie zum Beispiel im LETS München mit mehr als 1000 TeilnehmerInnen), andererseits zur regionalen Vernetzung, bei den mehr als 20 Berliner Tauschringen oder bei den 14 Hamburger Tauschringen sowie im süddeutschen Raum. Dort findet neben regelmäßigen regionalen Treffen auch ein erweiterter Tausch über die Tauschringgrenzen hinaus statt. In anderen Regionen treffen sich Tauschringe von Zeit zu Zeit zu Erfahrungsaustausch.
Aus jahrelangen Bestrebungen und Versuchen, den Tausch von Leistungen über die Tauschringgrenzen hinaus auch bundesweit zu erleichtern, ist nun ein sogenannter „Ressourcen-Tauschring“ entstanden, dem bislang etwa 30 Tauschringe angehören. Hier werden die Regeln, die in den Tauschringen gelten, auch für den Tausch zwischen Mitgliedern aus unterschiedlichen Tauschringen angewendet. Eine zentrale Verrechnungsstelle führt die Konten der Mitgliedertauschringe, die ihrerseits die Weiterbuchung ausführen.

Das Bundestreffen als Institution
Als bundesweite Vernetzung hat sich das jährliche Bundestreffen der Tauschringe etabliert und gewinnt an Strukturen. Neben theoretischen Beiträgen steht hier der Erfahrungsaustausch im Vordergrund.

Ein langwieriger und schwieriger Prozess ist die Erarbeitung von gemeinsamen Positionen. So wurde 1997 in Kassel bereits ein Minimal-Konsens der dort anwesenden Tauschringe erreicht, woraufhin für die Bundestagswahl 1998 Wahlprüfsteine veröffentlicht wurden. Ein weiterentwickeltes Positionspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Tauschringe (ein sich selbst aktivierendes offenes Gremium, das sich inzwischen aufgelöst hat) wurde 1999 in Rostock vorgelegt, findet aber bislang nur ein geringes Echo. Das liegt unter anderem daran, dass die einzelnen Tauschring-AktivistInnen, und erst recht die Mitglieder der Tauschringe, ihre jeweils unterschiedlichen Auffassungen und Ansätze (Selbsthilfe, soziale Bewegung, Agenda-21-Projekt, Nebenwährung, mit oder ohne Gewerbe…) hervorheben, und dabei Autonomie und Freiwilligkeit einen unverzichtbaren Rang besitzen. Daher orientierte man sich in diesem Jahr in Karlsruhe darauf, künftig mehr die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen.
Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich eine SPD-Politikerin, Dr. Regine Hildebrandt, für die Aktivierung und Förderung der Tauschringbewegung einsetzt, für ihr Engagement auf gemeinsame Positionen und Argumente angewiesen ist, aber die in den Tauschringen Konsens besteht.

Interessierende Themen
In mehreren Tauschringen gibt es zunehmend Teilnehmende, die sich für theoretische Zusammenhänge, die Tauschringe direkt berührende oder angrenzende Themen interessieren. Diese werden in Seminaren und auch auf Bundestreffen vorbereitet und diskutiert. Regelmäßig veranstalten z.B. die Zeitbörse Kassel zusammen mit der Friedrich-Ebert-Stiftung in Freudenstadt und der Kreuzberger Tauschring mit der Akademie für Ehrenamtlichkeit in Berlin Seminare für Tauschringe. Darüberhinaus finden auch in anderen Regionen sporadisch Seminare statt, wie im Januar 2000 in der Evangelischen Akademie Arnoldshain. Zu den Themen gehören seit einiger Zeit „Lokale Ökonomie – 3. Sektor“, „Alternative Lebens- und Arbeitsweisen – anders arbeiten – anders leben“, „Nebenwährung – alternative Geldsysteme“, „Lokale Agenda 21 und Tauschringe“, „Tauschringe und Gewerbebetriebe“ u.a. Die Diskussionen können zum Selbstverständnis der Tauschringe beitragen.

Hierbei treten aber auch die unterschiedlichen Sichtweisen sehr deutlich hervor, wodurch eine gegenseitige Verständigung oder Annäherung zu anderen sozialen Bewegungen zur Zeit noch erschwert wird. Nur einzelne der Tauschring-AktivistInnen pflegen Kontakt zu anderen Alternativen, so zu TAK AÖ/AG SPAK, zur Geldreformbewegung/Freiwirtschaft, zur AG Alternative Wirtschaftspolitik oder auch zu linken Gewerkschaftsaktiven. Örtlich differenziert haben sich einzelne auch in BürgerInnen-Bewegungen und -aktionen integriert.

Bundesweite Kommunikation
Das 1997 von Klaus Kleffmann gegründete Tauschring-Archiv mit den Tauschsystem-Nachrichten als periodische Zeitschrift für die Tauschringe hat sich unter seiner Leitung inzwischen zu einem zentralen Kommunikationszentrum entwickelt. Dazu hat auch die Home-Page www. tauschring-archiv.de sowie insbesondere auch das in diesem Jahr eingerichtete Diskussionsforum im Internet beigetragen. Noch geht es darin zeitweilig recht turbulent zu, doch es ist bereits erkennbar, dass wir uns zu einer akzeptablen Diskussionskultur durchringen.

Neben dem Archiv, wo auch die Verrechnungsstelle für den oben erwähnten Ressourcen-Tauschring eingerichtet ist, wurden andere bundesweit übergreifende Aufgaben für die Tauschringe von verschiedenen Personen aus unterschiedlichen Tauschringen freiwillig übernommen. So wird eine aktuelle Adressendatei gepflegt, es gibt eine Sammlung von Software für Tauschringe, von Literatur und Diplomarbeiten über Tauschringe und angrenzende Themen (ebenfalls im Archiv), einige verfolgen die Rechtslage auf verschiedenen Rechtsgebieten und vieles andere. Derzeit ist ein Handbuch in Vorbereitung, das bei Gründung und Entwicklung von Tauschringen Hilfestellungen anbieten wird.

Über die Bundestreffen gibt es jeweils ausführliche Dokumentationen bzw. Reader, die auch nicht dabeigewesenen einen Eindruck über die aktuelle Diskussion vermitteln.

Ausblick
Die Tauschringe in Deutschland sind historisch betrachtet ein junges Pflänzchen, das im Vorgarten der globalisierten Marktwirtschaft und als deren lokale Alternative wächst. Noch ist das Pflänzchen zu schwach, um allen äußeren und inneren Stürmen sicher standzuhalten. Noch sind die Ansätze und Auffassungen so verschieden, dass ein Auseinanderbrechen nicht ausgeschlossen ist.

Es kann aber auch eine soziale Bewegung entstehen, deren Erfahrungen, Denkweisen und Umgangsformen in viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausstrahlen und in weiterer Zukunft auch Veränderungen bewirken können. Diese Zuversicht basiert auch auf der Kenntnis, dass sich solche Systeme in der ganzen Welt (sei es in Nord- und Südamerika, in Australien, Asien und Europa) etablieren und ausbreiten

Mein Bestreben als involvierte Akteurin und als Betrachterin mit theoretischem Hintergrund ist es, mit viel Geduld und langem Atem diese Entwicklung nach Kräften zu fördern.

Zeitschriften
Tausch-System-Nachrichten (erscheint 4 mal im Jahr)
Marktzeitungen der einzelnen Tauschringe

 

Email: Regine Deschle
Regine Deschle, Dr. oec. – Verkehrswirtschaft /Betriebswirtschaft. Aktuelle Arbeitsfelder: Alternative Wirtschaft, Alternatives Geld, Frauen. Veröffentlichungen u.a."Global denken – lokal handeln – die fließenden Grenzen in der Ökonomie" in Dokumentation vom 26. Kongreß von Frauen in Naturwissenschaft und Technik (2000). "Der Euro kommt – wie gehen wir damit um?" in Dokumentation vom 24. Kongreß von Frauen in Naturwissenschaft und Technik (1998).
Kontakt: Dr. Regine Deschle, A.-Makarenko-Str. 9, 18106 Rostock

WEITERFÜHRENDE LINKS: 
www.tauschring-archiv.de (diverse Informationen, Literatur, Termine)
www.tauschringe-berlin.de  (aktuelle Adressen-Liste)
www.tauschringportal.de   (Infos und Adressen)
www.tauschring.de/links (Bundestreffen 2000, Reader, Ergebnisse)
  | TOP | DIESE SEITE DRUCKEN|