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Elisabeth Voß

Einleitung: Widerstand gegen neoliberale Globalisierung

Schon seit Jahren organisieren in vielen Ländern der Erde NGOs, sozialpolitische Initiativen, Gewerkschaften, autonome Gruppen etc. Aktionen gegen die internationalen Wegbereiter der Globalisierung, insbesondere gegen die Weltbank, den Internationaler Währungsfonds (IWF), die Welthandelsorganisation (WTO) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Nicht zuletzt durch die weltweite Vernetzung der GlobalisierungsgegnerInnen per Internet und e-Mail haben sich weltweite Widerstandstrukturen entwickelt. Das neu gegründete Indymedia-Netzwerk ist ein Beispiel dafür wie versucht wird, weltweit die Informationen über solche Aktivitäten zu bündeln und öffentlich zugänglich zu machen.1 

Die Aktionen der GlobalisierungsgegnerInnen richten sich gegen Freihandelsabkommen, die im Interesse internationaler Konzerne regionale Märkte und Sozialstrukturen bedrohen, sowie gegen die berüchtigten Strukturanpassungsprogramme der Weltbank, die als Bedingung für Schuldennachlässe oder Kredite unsoziale Sparprogramme von den betroffenen Ländern verlangen, die zu Lasten der ohnehin schon ärmsten Bevölkerungsteile gehen. Stattdessen werden bedingungslose Schuldenstreichungen gefordert, da die Gläubigerländer in aller Regel ihre Schulden in Form überhöhter Zinsen schon vielfach beglichen haben, sowie die Respektierung der Selbstbestimmung aller Länder über die Gestaltung ihrer Sozialsysteme und Handelsbedingungen.

Die OECD-Verhandlungen zur Verabschiedung eines Multilateralen Abkommens über Investitionen (MAI) scheiterten Ende 1998 sowohl an den unterschiedlichen Interessen der beteiligten Staaten als auch an den internationalen Protesten. Das MAI sollte die Regierungen der Unterzeichnerstaaten darauf verpflichten, ihre regionale Gesetzgebung den Investitionswünschen multinationaler Konzerne unterzuordnen. Dies hätte z.B. bedeutet, daß ökologische Richtlinien oder Streikrechte bei Bedarf hätten außer Kraft gesetzt werden können. Damit wäre ein bedeutender Schritt der Unterordung von Politik unter wirtschaftliche Interessen vollzogen worden. Jedoch findet dieser Unterordnungsprozeß ohnehin statt, sowohl auf nationaler Ebene (die CDU-Spendenaffäre hat dies endlich ein wenig öffentlicher werden lassen) als auch zunehmend im Rahmen weltweiter wirtschaftlicher Verflechtungen.

Beim WTO-Treffen in Seattle im November 1999 kam es gar nicht erst zur erneuten Verhandlung des MAI, das Treffen scheiterte schon an anderen Punkten (internationale Sozialstandards, Handel mit gentechnisch manipulierten Lebensmitteln etc.). Die Aktionen internationaler Gruppen und Netzwerke verschafften dem globalisierten Widerstand eine ausführliche Medienpräsenz. Ein wichtiges Netzwerk zur Organisation dieses Widerstands ist Peoples Global Action (PGA)2 , das im Februar 1998 gegründet wurde. Mehrere AktivistInnen beschreiben die Prinzipien und Arbeitsweise von PGA.

Die zunehmende Kriminalisierung der GlobalisierungsgegnerInnen führte im September 2000 in Prag zur bürgerkriegsähnlichen Aufrüstung des Staates. Die Tagung von Weltbank und IWF wurde einen Tag früher als geplant beendet, es wurden über 900 DemonstrantInnen verhaftet. Viele wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen in Haft gehalten und teilweise brutal mißhandelt, Frauen wurden sexuell belästigt.
Eine der auch in Prag vertreten gewesenen Gruppen ist Attac3 , das Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der internationalen Finanzmärkte. Auf Initiative von Le Monde Diplomatique in Frankreich gegründet, hat es die Entstehung weiterer Attac-Gruppen in vielen Länder angeregt4 . Seit Mai 2000 gibt es auch Attac Deutschland, initiiert u.a. durch Elmar Altvater (Politologie-Professor, FU Berlin) und Birgit Mahnkopf (Professorin für Europäische Gesellschaftspolitik, FHW Berlin). Hauptforderung ist die Einführung einer „Tobin-Steuer“ auf alle internationalen Finanztransaktionen, um diese Spekulationen mit ihren weltweit verheerenden Folgen für die Lebensbedingungen der Menschen wenigstens einzuschränken. Sie war auch ein wichtiges Thema beim Weltsozialgipfel im Januar 2001 in Porto Allegre (Brasilien), der unter dem Motto stand: „Eine andere Welt ist möglich“.
Nun kann mit gutem Recht gefragt werden, was denn grundlegend anders sei an einer nach wie vor kapitalistisch wirtschaftenden Welt mit eingeschränktem internationalen Finanzhandel. „Solidarische Kritik“ daran wurde frühzeitig vom Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO)  formuliert. Sie ist im Internet dokumentiert5, den Attac-Aufruf haben wir hier abgedruckt.

Eine auch mit Attac zusammenarbeitende international angelegte Initiative von Intellektuellen, Raisons d’agir6 , trat am 1. Mai 2000 mit Veröffentlichung des Appells Charta 2000 - Für die Einberufung von Generalständen der sozialen Bewegungen in Europa in die Öffentlichkeit. Prominenter Initiator war der französische Soziologe Pierre Bourdieu (u.a. bekannt durch sein 1998 auch auf Deutsch veröffentlichtes Werk von 1993: „Das Elend der Welt“). Wir dokumentieren hier die Charta 2000.

Im vergangenen Jahr mobilisierte auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) für Aktionen zur Regierungskonferenz der EU-Staaten im Dezember 2000 in Nizza. Neben etwa 700 GewerkschafterInnen des DGB nahmen einige Hundert AktivistInnen der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung (euro-marsch)7 teil, deren Forderungen wir dokumentieren. In Nizza kam es zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen, als eine friedliche Menschenkette von der Polizei aufgelöst wurde. Es wurde eine Charta sozialer und politischer Rechte verabschiedet, die in die geplante Europäische Verfassung eingehen sollen. euro-marsch kritisiert, daß damit nationale und teilweise auch bisherige EU-Standards unterlaufen und die meisten BürgerInnen schlechter gestellt werden als vorher.

Insgesamt ist im gegenwärtigen Prozess der ökonomischen Umgestaltung der Welt eine enorme öffentliche Präsenz von kritischen, alternativen, linken Gegenpositionen feststellbar. Die Kritik an den Organisationen der ökonomischen Globalisierung (IWF, Weltbank, WTO etc.) hat mittlerweile den Sprung aus intellektuellen Zirkeln hinein in die Öffentlichkeit geschafft. Die mannigfaltigen Protestaktionen bei den diversen Wirtschaftsgipfeln sind ein Ausdruck davon. Von Lobbyaktivitäten weltweit operierender NGO’s, über die Attac-Initiative mit Forderungen an den Staat, bis hin zu autonom agierenden Gruppierungen reicht die Bandbreite. Die Protestaktionen basieren auf unterschiedlichen inhaltlichen Ansätzen und unterschiedlichen Lebensverhältnissen in verschiedenen Regionen der Erde.

Die Breite des Widerstands gegen die sozialen, politischen und ökonomischen Folgen der Globalisierung läßt hoffen, daß wenigstens die gravierendsten Verschlechterungen der Lebensbedingungen verhindert werden können. Bestenfalls entstehen Netzwerke und Kontakte, aus denen neben dem politischen Widerstand eigene soziale und ökonomische Strukturen entwickelt werden. Beängstigend ist die zunehmende staatliche Aufrüstung und Brutalität gegenüber den DemonstrantInnen, so z.B. in Göteborg (Schweden), wo beim EU-Gipfel im Juni 2001 erstmals Schußwaffen gegen die ProtestiererInnen eingesetzt wurden.

Anmerkungen
Siehe dazu auch den Beitrag „Ökonomisch begründeter Aktionismus“ von Nils Buis über Attac Nederland in unserem Europa-Schwerpunkt

 

Email: Elisabeth Voß
Elisabeth Voß ist Mitherausgeberin dieses Jahrbuchs, seit vielen Jahren aktiv im TAK AÖ und anderen alternativökonomischen Zusammenhängen, Veröffentlichungen u.a. in Contraste - Monatszeitung für Selbstorganisation und im Kommunebuch (Verlag Die Werkstatt 1996).

  WEITERFÜHRENDE LINKS:
Indymedia im Internet: www.indymedia.org
PGA im Internet: www.nadir.org/nadir/initiativ/agp
Attac im Internet: www.attac-netzwerk.de
BUKO im Internet: www.buko/info
Raisons d’agir im Internet: www.zeg.org
Euro-marsch im Internet: www.euromarches.org
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