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Elisabeth Voß

Einleitung: Soziales

Zweifellos sind die ohnehin schon Benachteiligten die hauptsächlich Leidtragenden neoliberaler Strategien. Sowohl innerhalb einzelner Länder, als auch international zwischen den Staaten findet ein zunehmender Spaltungsprozess statt zwischen arm und reich. Eine tendenzielle Angleichung der Lebensverhältnisse – selbstverständlich als Anpassung nach unten – bringt u.a. eine Senkung der Sozialausgaben und Lohndumping mit sich. Die Ausgrenzung von immer mehr Menschen, die nicht dem neuen Ideal des flexiblen, mobilen Leistungsträgers entsprechen, wird begleitet von individualisierenden Ideologien, Werte wie soziale Sicherheit und Solidarität scheinen immer weniger angesagt zu sein. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln werden in diesem Kapitel diese gesellschaftlichen Tendenzen betrachtet.

In Wir alle sind Unternehmer schildert die taz-Autorin Barbara Dribbusch die Umdeutung gesellschaftlicher Realitäten als Bestandteil rot-grüner Politik. Selbstverantwortung ersetzt Solidarität, und zunehmend deregulierte Verhältnisse bieten neue Möglichkeiten der individuellen Selbstverwirklichung. In der Kälte dieser neuen Freiheit ist jedeR ihres/seines Glückes SchmiedIn.

Von einer praktischen Glanzleistung der rot-grünen Regierung handelt der Beitrag von Uli Barth: Die Rentenreform – Entsolidarisierung der Gesellschaft. Was sich Kohl nie traute, scheint Rot-Grün spielend zu gelingen: der Einstieg in den Ausstieg aus der solidarischen Altersversorgung. Von Riesters Rentenreform wird die Mehrheit der Bevölkerung deutlich schlechter gestellt als bisher. Dabei wird auch vor falschen Behauptungen wie z.B. der, dass die Lohnnebenkosten in diesem Land zu hoch seien, nicht zurückgeschreckt.1

Alte Menschen, die immer länger leben, also auch immer länger Rente beziehen, werden in der öffentlichen Debatte zunehmend nur noch als Kostenfaktor dargestellt. Die Alterspyramide verändert sich aber nicht nur dadurch, dass immer mehr Menschen immer länger leben, sondern auch durch den fehlenden (beitragszahlenden) Nachwuchs. Wider alle Vernunft beharrt die deutsche Regierung trotzdem auf ihrer ausländerInnenfeindlichen Politik der Abschottung und Ausgrenzung gegenüber MigrantInnen. Hier lebenden Menschen ausländischer Herkunft wird in vielen Fällen weiterhin das Arbeiten, und damit auch das Zahlen von Sozialversicherungsbeiträgen verboten. In Inszenierung einer Debatte – Zur Kontinuität lügnerischer Ausländerpolitik beschreibt Harald Glöde, Mitarbeiter der Forschungsstelle Flucht und Migration (FFM), wie die Green-Card-Debatte die gesuchten Fachkräfte als eigentlich unerwünschte Notlösung diskriminiert und gleichzeitig unter Verwertungsaspekten zwischen „guten“ und „schlechten“ Menschen nichtdeutscher Herkunft unterscheidet.

Eine Alternative zur Alters- und Arbeitslosenversicherung, ebenso wie zur oft diskriminierend gehandhabten Sozialhilfe beschreibt Hinrich Garms in Alternative Ökonomie und Existenzgeld – Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung. Am weitesten entwickelt ist das Modell eines beitragsunabhängigen Existenzgeldes der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialhilfeinitiativen (BAG-SHI), das pro Person einen Betrag von monatlich 1.500 DM plus Warmmiete vorsieht. Der Autor, der selbst der BAG SHI angehört, legt dar, wie eine Grundsicherung für alle eine materielle Grundlage für selbstbestimmtes, bedarfsgerechtes Wirtschaften sein könnte. Modelle einer Grundsicherung gibt es viele – in unterschiedlichen Varianten haben z.B. alle Parteien entsprechende Konzepte in der Schublade. Garms plädiert für eine breite Diskussion dieser Konzepte als Beitrag zur notwendigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung über Ungleichheit und alternative Gegenstrategien.

Die Frage nach der Richtung und Ausgestaltung gewerkschaftlicher Solidarität stellt Bodo Zeuner in Sozialdarwinismus oder erneuerte Solidarität? Die politische Zukunft der Gewerkschaften. Seiner Vorstellung von einschließender Solidarität, die auch Andere, Fremde, möglicherweise Benachteiligte umfasst, stellt er eine ausschließende, zu elitärem Denken und Sozialdarwinismus tendierende Solidarität Privilegierter entgegen, deren ideologische Vorreiter er in der Sozialdemokratie verortet. Eindringlich fordert er von den Gewerkschaften Distanz zu Rot-Grün und eine Repolitisierung in den sich verschärfenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

Anmerkungen
1    Wie die private Altersvorsorge für nachhaltige Geldanlage genutzt werden könnte, beschreiben Klaus Milke und Christoph Bals in „Grüne Rente soll gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit stützen“ im Kapitel „Nachhaltiges Wirtschaften mit und ohne Geld“.

 

Email: Elisabeth Voß
Elisabeth Voß ist Mitherausgeberin dieses Jahrbuchs, seit vielen Jahren aktiv im TAK AÖ und anderen alternativökonomischen Zusammenhängen, Veröffentlichungen u.a. in Contraste - Monatszeitung für Selbstorganisation und im Kommunebuch (Verlag Die Werkstatt 1996).

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