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Hinrich Garms

Alternative Ökonomie und Existenzgeld
Eine Chance für eine nachhaltige Entwicklung

Es gibt das Sprichwort, niemand steige zweimal in denselben Fluss. Das stimmt nur zum Teil. Wenn ich mir die Diskussionen um Alternative Ökonomie vergegenwärtige, seitdem ich zum ersten Mal an einem Seminar der AG SPAK in den siebziger Jahren teilgenommen hatte, so sind die Probleme oft dieselben geblieben, die Lösungsansätze variieren jedoch. Problematisch geblieben sind die oft vorhandenen Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit und zwischen Theorie und Praxis, mangelnde Geldmittel, die Fluktuation der Beteiligten, der Widerspruch oder die Zusammenführung von Arbeit und Freizeit. Auch haben sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Stichworte: Staatsknete, Revenuezufuhr, Arbeitsbedingungen, Selbstausbeutung) eher verschlechtert. Die gesellschaftlichen Notwendigkeiten für einen anderen, nachhaltigeren ökonomischen Pfad haben aber eher zugenommen, es sei denn, rot-grüne Modernisierung und Privatisierung bei gleichzeitiger Steuersenkung für Großkonzerne wird als das Ende der Geschichte betrachtet. Ganz abgesehen davon, dass durch die Aufgabe ganzer Regionen durch traditionell-kapitalistische Unternehmen (Ostdeutschland) neue Wege des Wirtschaftens einen makroökonomischen Charakter bekommen könnten.

Die Lösungswege variieren auch insofern, als es um die Annahme von Staatsknete weniger Diskussionen als früher gibt – aber auch deswegen, weil sich zum Teil diese Diskussion aufgrund der mangelnden Staatsfinanzen nicht mehr stellt. Auch wird die Erzielung von Überschüssen in den Projekten wohl weniger infrage gestellt, wenn die Erfahrung gemacht wurde, dass sich hierüber nicht-profitable Bereiche finanzieren lassen.

Was ist Alternative Ökonomie?
Mit Alternativer Ökonomie ist hier nicht nur die steuerbegünstigte Produktion und das Aufstellen von Sonnenkollektoren gemeint, sondern der Wirtschafts- und Lebensbereich, der entweder durch einen sozialen, ökologischen oder einen anderen wie immer gearteten „Gebrauchswertüberschuß“ des Produkts gekennzeichnet ist, durch die demokratische Art des Produzierens, durch direkte Produzenten-Konsumenten-Beziehungen oder, im besten Fall, durch dies alles zusammen. Auch sollen hierbei möglichst wenig natürliche Ressourcen verbraucht und die menschlichen Beziehungen anders gestaltet werden. Von der linken Kneipe über den selbstverwalteten Verlag bis zum selbstorganisierten ökologischen Landbau von Psychiatriebetroffenen oder dem Mittelstandsbetrieb ohne Hierarchie, der Fahrräder produziert, und bis zur Ökobank kann hier noch immer alles gemeint sein. Ich kann und will hier nicht alles wiederholen, was Rolf Schwendter, aber auch andere in jahrelanger Arbeit erforscht und geschrieben haben.1  Zumindest soll der Rahmen Alternativer Ökonomie kurz aufgezeigt werden.

Auch wenn die Ökobauernhöfe, Fahrradläden, Kneipen, Kommunen, Alternativzeitungen etc. sich nicht alle als „alternativ-ökonomisch“ definieren, spielen sie tendenziell (ideologisch) im politischen Kampf gegen „die Globalisierung“ oder im ökonomischen Überlebenskampf der Menschen eine wichtige Rolle. Denn viele in Alternativer Ökonomie Engagierte wollen oder können am traditionellen Wirtschaften aus unterschiedlichsten Gründen nicht teilnehmen, sei es, dass sie darin keinen Sinn sehen oder sie haben schlicht und einfach nicht die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt darin zu sichern. Alternative Ökonomie ist auch oft der Versuch des „richtigen Lebens im Falschen“, natürlich werden auch Fehler gemacht, sie ist aber gegen einen Vorwurf vehement zu verteidigen: „dass sie nicht die Revolution vorantreiben würde“, so gehört im Jahre 2000 bei der zweiten Armutskonferenz von unten in Berlin. Wenn wir davon ausgehen, dass sämtliche gesellschaftlichen Großentwürfe im 20. Jahrhundert gescheitert sind und Veränderungen schon im Schoß der alten Gesellschaft wachsen, bevor gesamtgesellschaftliche Veränderungen geschehen, so hat diese Wirtschafts- und Lebensform eine nicht zu leugnende Bedeutung auch für alternative, nachhaltige Gesellschaftsmodelle.

Alternative Ökonomie ist somit mehr als die „Nischenproduktion“, als die sie oft bezeichnet wird, sie muß nicht, aber sie kann der Ansatzpunkt für eine andere gesellschaftliche Produktion und Reproduktion sein.

Grundsätze des Existenzgeld-Konzeptes der BAG-SHI
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfe-Initiativen (BAG-SHI) geht in ihrem in Erfurt im Mai 1998 verabschiedeten Konzept zum Existenzgeld davon aus, dass jedem Menschen eine Grundsicherung von 1500 Mark zusteht. Dies wäre eine Grundsicherung, die diesen Namen auch verdient. Kinder sollen denselben Betrag erhalten. Die Grundsicherung soll in einem ersten Schritt Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz, Sozialhilfe, Erziehungsgeld, Arbeitslosenhilfe, Arbeitslosengeld und Bafög ersetzen. Zusätzlich zum Existenzgeld werden Wohnkosten in Höhe bis zu durchschnittlich 500 Mark monatlich für eine Einzelperson übernommen. Regionale Unterschiede, Mietspiegel, sowie eine angemessene Wohnungsgröße sind hierbei zu berücksichtigen. Der Individualanspruch auf das volle Existenzgeld für jedes Mitglied einer Lebensgemeinschaft entschärft finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse, bewirkt insofern einen emanzipatorischen Effekt, verhindert Kinderarmut und beinhaltet das Recht auf eigenständige Absicherung von Geburt an. Das Existenzgeld ist ein Mittel, die Diskriminierung, Disziplinierung und Spaltung unterer Einkommensschichten aufzuheben und ist untrennbar verknüpft mit dem Recht auf Erwerbsarbeit bei gesetzlich garantiertem Mindeststundenlohn. Das Existenzgeld ist bundesfinanziert durch den bisherigen Teil des Steueraufkommens für soziale Transferleistungen, die bisherigen Sozialversicherungsbeiträge und die zukünftige zweckgebundene Existenzgeld – Abgabe von 50 Prozent (“Take half“) auf Nettoeinkommen jeglicher Art und Höhe.

Zur Finanzierung soll also nach dem „Take-half-“Modell von allen in der Bundesrepublik vorhandenen Einkünften die Hälfte abgezogen werden und in eine Grundsicherung eingespeist werden, die diesen Namen auch verdient,2  ebenso wie neu erworbenes Vermögen. Das Existenzgeld ist kein Randgruppenkonzept, sondern soll für die ganze Gesellschaft gelten. Bekämen alle Menschen Existenzgeld, nicht nur die Armen, wäre in der Tat für die Bundesrepublik und Europa die Möglichkeit gegeben, Armut langfristig und bedarfsdeckend zu beseitigen. Das Konzept wurde zwar von Sozialhilfe-Initiativen aufgestellt, aber nicht, um diese Gruppe als Klientel extra zu bedienen, sondern für die ganze Gesellschaft.

Das Existenzgeldkonzept als integratives Konzept oder was hat das eine mit dem anderen zu tun?
“Ist’s Geld da, fehlen die Leut’, sind die Leut’ da, fehlt’s Geld“, schrieb Rolf Schwendter schon 1977(3) . Dem kann abgeholfen werden: Ein Existenzgeld böte die Möglichkeit, den einzelnen an der Alternativen Ökonomie Beteiligten ein materielle Grundlage zu geben, unabhängig von einer (wie auch immer gearteten staatlichen oder privat-ökonomischen) Projektfinanzierung. Nachdem gerade in den siebziger, achtziger und neunziger Jahren Menschen in Projekten entweder über BAFöG, Arbeitslosengeld, -hilfe, Sozialhilfe oder prekäre Jobs finanziert wurden (siehe unser Außenminister, der Taxi fahren musste), und dies über staatliche Auflagen immer schwieriger wurde, wollen wir, dass ein solches Existenzgeld eben nicht an staatliche Auflagen gekoppelt wird. Unser Konzept wendet sich nicht ausschließlich an den Staat, sondern es ist ein gesellschaftliches. Es erfordert somit eine gesellschaftliche Diskussion. Die Verwirklichung des Existenzgeldes würde auch zur Stabilität der Alternativen Ökonomie beitragen und eine Frage zumindest beantworten: Wird denn überhaupt noch jemand arbeiten, wenn es Existenzgeld gibt?

Ja, so die Antwort, dann würden die Beteiligten dort arbeiten, wo sie dies jetzt schon unbezahlt tun und sich mehr den eigentlichen Inhalten der Arbeit, also auch der Alternativen Ökonomie widmen können. Die Marktabhängigkeit, die leider auch bei alternativer Produktion gegeben ist, würde verringert, da die unmittelbare Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr davon abhängig wäre. Gesellschaftlich gesehen wäre eine Diskussion über Arbeitsteilung ohne den tagtäglichen Zwang, Geld heranzuschaffen, möglich. Auch und gerade deswegen ist eine materielle Sicherung nicht unwichtig, wenn wir davon ausgehen, dass Alternative Ökonomie fast immer an chronischer Unterfinanzierung leidet. Zum zweiten: Die Prozesse, die bei Alternativer Ökonomie damit einhergehen, das Was, Wie, Warum und Wofür der Produktion zu bestimmen, die berühmte Gruppendynamik, sollte auch, wenn auch nur symbolisch bezahlt werden.

Einige Beispiele, was das Existenzgeld bewirken könnte

Das Alternative Cafe Rumpelstiel
Das Cafeprojekt Rumpelstiel, in dem öfter Kleinkunst aufgeführt wird und Ausstellungen gezeigt werden, kann nur aufgrund der Überstunden des vierköpfigen Kneipenkollektivs überleben. Fortbildung oder die Teilnahme an überregionalen Treffen der Cafeprojekte im Süden Deutschlands, wo sich das Projekt befindet, können von den Kneipenkollektivmitgliedern nicht mehr wahrgenommen werden. Außerdem hat sich in der Kneipe eine sozialpolitische Gruppe gebildet, an der ein Mitglied gerne teilnehmen möchte. Durch das Existenzgeld wäre die materielle Grundlage für den Lebensunterhalt für alle Kollektivmitglieder gegeben, dies würde wiederum Zeit freisetzen, um die oben genannten Dinge ohne materiellen Verlust tun zu können.

Der Alternative Fahrradladen Schrauben und Speichen
Im alternativen Fahrradladen Schrauben und Speichen werden seit langem nicht mehr so viele Fahrräder verkauft, wie geplant. Außer der Entlassung eines Kollektivmitglieds hat dies zur Folge, dass nicht mehr so viele Fahrräder aus dem Kooperationsprojekt „Erwerbslose Metaller“ verkauft werden können, wie dies ursprünglich beabsichtigt war und mehr Modelle von großen Fahrradkonzernen eingekauft werden müssen. Ein Teil des solidarischen Charakters, der immer mit diesem Projekt verbunden war, droht zu verschwinden. Hier käme das Existenzgeld gerade recht: Auch unter Inkaufnahme kurzfristiger Verluste könnte der Laden wieder die Dinge in Angriff nehmen, die bisher wegen des Geldverdienens zurückgestellt werden mußten, zum Beispiel sollte ein familiengerechtes Tandem-Fahrrad entwickelt werden.

Die Zeitung gegen den herrschenden Konsens
Die oppositionelle Stadtzeitung gegen den herrschenden Konsens, die kleine und große Skandale in einer mittelgroßen Stadt aufdeckt und gleichzeitig längere Texte zu verschiedenen Politikfeldern veröffentlicht, konnte bisher nur erscheinen, weil die zwei Redakteurinnen von Arbeitslosengeld leben. In letzter Zeit werden sie aber immer häufiger vom Arbeitsamt gedrängt, minderwertige Jobs anzunehmen. Eine Projektförderung ist erst vor kurzem von der Stadt wegen des offensiven politischen Charakters der Zeitung abgelehnt worden. Der Zeitung droht die Einstellung. Auch hier könnte das Projekt mit Existenzgeld längerfristig existieren.

Das Existenzgeld-Konzept diskutieren
Das Existenzgeldkonzept sollte und soll eine gesellschaftliche Diskussion über Armut, Reichtum und über Arbeitsteilung, über Mindesteinkommen, Arbeitszeiten und gesellschaftliche Resourcen anregen, und es kann nur dann eine gesellschaftliche Dimension gewinnen, wenn in verschiedenen „Sphären“ darüber diskutiert wird: In Erwerbslosen-Initiativen, Alternativprojekten, in gewerkschaftlichen und kirchlichen Kreisen undsoweiter. Nun fragen allerdings einige Menschen: Wenn wir das Existenzgeld sowieso heute nicht bekommen, sollten wir uns dann nicht lieber für bessere Projektförderung für eine Alternative Produktion und für Projekte einsetzen? Gerade Menschen in der Alternativen Ökonomie, die sehr stark durch einen „Utopieüberschuß“ lebt, sollten auch die Existenzgelddiskussion aufnehmen und vorantreiben, so dass das eine, der Kampf für kurz- und mittelfristige Ressourcen getan werden kann und das andere, die Utopie, nicht fallen gelassen werden muss. Nach Jahren, besser gesagt Jahrzehnten der Verschlechterung sozialer Leistungen und nach Jahren von potenziell gesellschaftsverändernder Praxis in Alternativer Ökonomie wäre es vielleicht an der Zeit, gemeinsam ein offensives Gesellschaftsprojekt zu vertreten, das einen nachhaltigen Weg aus der sozialen und ökologischen Krise weisen könnte, denn eine Krise existiert. Sowohl innerhalb von traditionellen und alternativen Betrieben als auch gesellschaftspolitisch in Richtung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Veränderung wäre dies ein großer Schritt nach vorn.

Anmerkungen
1 Siehe auch Rolf Schwendter, 1977-79, „Notate zur Alternativen Ökonomie“ bzw. „Zur neuesten Geschichte der Alternativen Ökonomie“, in: „Zur Alternativen Ökonomie I -III“, erschienen im Sozialpolitischen Verlag SPV, Berlin und ders., „Die Mühen der Berge“ und „Die Mühen der Ebene“, beide erschienen im AG SPAK-Verlag.
2 Näheres ist nachzulesen in: BAG-SHI (Hrsg.), Existenzgeld für alle, Antworten auf die Krise des Sozialen, AG SPAK Verlag, Neu-Ulm 2000.
3 Schwendter, Rolf, 1977/1978/1979, „Notate zur Alternativen Ökonomie“ bzw. „Zur neuesten Geschichte der Alternativen Ökonomie“, in: „Zur Alternativen Ökonomie I -III“, ebenda

 

Email: Hinrich Garms
, Jahrgang 1957, Dipl. Soz., lebt in Berlin-Tiergarten, arbeitete in den letzten 15 Jahren u.a. als Sozialarbeiter, Projektentwickler in einer Beschäftigungsgesellschaft, Projektberater und Sozialwissenschaftler. Mitautor des Buches „Existenzgeld für alle“. Durch längere Erwerbslosigkeit ist er mit dem Problem der Geldbeschaffung durch prekäre Beschäftigung und staatliche Leistungen vertraut. Zur Zeit arbeitet er ehrenamtlich in der „Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfe-Initiativen“ (BAG-SHI), bei der Zeitschrift „Quer“ und im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ in Berlin-Prenzlauer Berg. Schwerpunkte: Gewerkschaften, Sozialpolitik, Erwerbslosigkeit, Existenzgeld.

WEITERFÜHRENDE LINKS: www.existenzgeld.de
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