xxx
Nils Buis / Jaap van Leeuwen

Ökonomisch begründeter Aktionismus
Bewegungen gegen die Folgen der freien Marktwirtschaft

Beinah aus dem Nichts entstand, so scheint es, eine weltweite Bewegung, die erfolgreich den Streit gegen den internationalen Freihandel auf die politische Tagesordnung gesetzt hat. Dort, wo ökonomischer Aktionismus bisher die exklusive Domäne der klassischen Gewerkschaften war, die ihre ursprünglich revolutionären Ziele eingetauscht haben gegen konkretere Formen der Interessenvertretung von ArbeitnehmerInnen gegenüber ihren ArbeitgeberInnen, kann man seit den Anti-MAI-Kampagnen (Aktionen gegen das Multilaterale Abkommen über Investitionen) wieder von radikalem Protest gegen die Geschwülste des liberalen Kapitalismus sprechen.

Holland: Initiativen stellen die Macht des Kapitals in Frage
Auch in Holland sind verschiedene Gruppen und Individuen an der Protestbewegung beteiligt, die letztes Jahr in Seattle und kürzlich in Prag Aufsehen erregte. Der Protest war hauptsächlich gegen die maßlose Macht von supranationalen finanziellen Einrichtungen wie Weltbank und IWF gerichtet, die man verantwortlich macht für den Ausverkauf der ökonomischen Interessen der „Dritte-Welt“-Länder zugunsten des sowieso schon so reichen Westens und die Instandhaltung der ungleichen Macht- und Wohlfahrtsverhältnisse. Während die öffentliche Aufmerksamkeit während des Welthandelstreffens in Seattle hauptsächlich auf die unvermeidlichen kleinen Krawalle gerichtet war, hatte man vor dem IWF/Weltbanktreffen in Prag in den Medien hauptsächlich ein Auge für das, was von der Bewegung vorgebracht wurde: die katastrophalen Folgen der Politik von IWF und Weltbank. Die Aufmerksamkeit hat sich also verschoben von der Oberfläche zum Inhalt. Ebenfalls auffällig ist, dass die Kritik auch von Leuten unterstützt wird, von denen man das nicht so schnell erwarten würde. Das bekannteste Beispiel hierfür ist wohl die Art, auf die der frühere Vizepräsident und Chefökonom der Weltbank Joseph Stiglitz Dinge ausplauderte. Im Großen und Ganzen hat die Bewegung es also geschafft, die Tragfläche gegen die Macht der Multinationals wesentlich zu vergrößern.1

Innerhalb des holländischen Zweiges der Anti-Globalisierungsbewegung spricht man übrigens lieber von einer Koalition als von einer Bewegung. Es geht immerhin um eine bunt zusammengewürfelte Gruppe, die der ökonomischen Macht des Kapitals Widerstand bietet, von UmweltaktivistInnen, orthodoxen KommunistInnen und GewerkschafterInnen bis hin zu mexikanischen Zappatistas, radikalen AnarchistInnen, feministischen Gruppen und nicht zuletzt den französischen BäuerInnen unter der Leitung von José Bové.

Der verbindende Ausgangspunkt ist das Prinzip agree to disagree: im Großen und Ganzen ist man sich einig darüber, welche Alternativen es gibt, aber welche Form diese genau bekommen sollen, darüber denkt jedeR anders. Aber auch die Koalition entwickelt sich: Verschiedene Gruppierungen, die untereinander viel Information austauschen und sich jetzt schon einige Male begegnet sind, kommen dadurch mit ihren unterschiedlichen Standpunkten und Argumenten in Berührung. Dadurch entsteht die wichtige Befruchtung unter den verschiedenen One-Issue-Gruppen, was zu einer deutlichen Entwicklung in Richtung eines gemeinsamen Blickwinkels auf die Problematik führt.

In Holland stellen verschiedene Gruppen die Macht des Kapitals zur Diskussion. Manchen geht es darum, Kritik zu üben an dem, was weltweit los ist, andere haben besondere Vorschläge, was man gegen die ökonomische Ungleichheit praktisch tun könnte. Eine dieser Gruppen ist die Stiftung Uno-Einkommen. Diese Stiftung plädiert für ein weltweites Basiseinkommen für alle, ungeachtet des Alters oder anderer Einkommen. Die Vereinten Nationen könnten für die Verteilung des Geldes sorgen. Jeder Mensch bekäme denselben Betrag: Wenn man jeder und jedem fünfzig Cent austeilen wollte, könnte das mit zwei Prozent des Weltjahreseinkommens finanziert werden. Über eine Steuer könnte dieser Basisbetrag an jede und jeden überall auf der Welt ausgeteilt werden. Im Westen würde es kaum jemand merken, für einen großen Teil der Weltbevölkerung aber wäre es eine Verdopplung ihres Einkommens. Und das könnte im günstigsten Fall wiederum zu mehr Kaufkraft führen, zur Anregung der lokalen Ökonomie und eine Verbesserung der Infrastruktur, der Wasserversorgung, des Unterrichts und des Gesundheitswesens ermöglichen. Die Essenz dieser Idee ist, dass es keine verkappte Form von Entwicklungshilfe ist, sondern dass alle Menschen das Basiseinkommen bekommt und zwar jede und jeder gleich viel, auch die EinwohnerInnen von reichen Ländern. Dadurch würde den Leuten in den reichen Ländern bewusst, dass andere Menschen von diesen fünfzig Pfennig leben müssen, was dann wiederum zu einem Prozess der Bewusstwerdung führen würde, der im Zeitalter der Globalisierung notwendig ist.2

Andere Gruppen die sich mit Informationsverteilung und dem Initiieren von Aktion beschäftigen sind das Autonoom Centrum in Amsterdam, Eurodusnie in Leiden und das Kollektiv Omslag in Eindhoven.

Attac Nederland
Als Bestandteil der internationalen Attac Bewegung (Association for the Taxation of financial Transactions for the Aid of citizens) hat sich Attac Nederlande das Ziel gesetzt, den weltweiten Kapitalfluss zu bändigen. Es strebt eine ökologisch und demokratisch kontrollierte Ökonomie an, die gerecht und ökologisch nachhaltig ist.3

Attac wurde Anfang 2000 ins Leben gerufen und ist ein selbständiger Verein, der gesellschaftlich engagierte ForscherInnen, aktionsbereite BürgerInnen und individuelle Mitglieder gesellschaftlicher Organisationen bündelt. Es hat sich der internationalen Attac-Organisation in Paris angeschlossen, die durch eine Initiative von LeMonde diplomatique entstanden war. Inzwischen gibt es in 19 Ländern ähnliche Gruppen, von denen zehn in der Europäischen Union aktiv sind.

Attac will vor allem durch Aktionen und Weiterverbreitung von Informationen verhindern, dass sich die Macht internationaler Unternehmen und Banken noch weiter ausbreitet, wodurch die Ungleichheit der Einkommen immer weiter zunehmen und Natur und Umwelt irreparabel beschädigt würden. Dabei ist es wichtig, Einsichten in das Funktionieren der internationalen Finanzwelt und den Mangel an deren demokratischer Kontrolle zu ermöglichen.
Aus der Sicht von Attac sind es hauptsächlich die „normalen“ Menschen, die den Preis für die freie Marktwirtschaft bezahlen, so wie es auch in den lateinamerikanischen und asiatischen Ländern der Fall war, als sie vor drei Jahren in eine große Finanzkrise geraten waren, die regelrecht zum ökonomischen Untergang führte.

Vor allem wegen der Spekulation fiel der Wert nationaler Währungen, woraufhin sich internationale Investoren zurückzogen. Letztendlich müssen wohl die ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen der betroffenen Länder dafür herhalten.4 Was man dann sehen kann ist, dass die Regierungen dieser Länder von Instanzen wie IWF und Weltbank gezwungen werden, am Gesundheitswesen und der Bildung zu sparen, und dass Bodenreformen rückgängig gemacht werden und Umweltpolitik ins Hintertreffen gerät. Solche finanziellen Krisen hinterlassen noch über Generationen hinweg ihre Spuren. Die Verursacher davon – Banken, große Investoren und Spekulanten – bleiben nicht nur auf freiem Fuß, sondern verdienen noch daran auch.5

Attac will die unverantwortlichen sozialen und ökologischen Folgen der ungebremsten Selbstbereicherung in Spekulationskreisen anprangern. Der niederländische Attac-Präsident Hans van Heijningen: „Das Spekulationsgeschäft, das an den Börsen in der ganzen Welt eine Blütezeit erlebt, hat immer weniger mit der wirklichen Ökonomie zu tun, in der Produktion, Handel und Verbrauch von Gütern im Mittelpunkt stehen. Wohlgemerkt sind 95 Prozent der viertausend Milliarden Gulden, die täglich um die Erde geschoben werden, spekulativer Art.“6 Das bedeutet, dass bloß fünf Prozent direkt mit dem Handel von materiellen Gütern zusammenhängen, der Rest sind spekulative Geldgeschäfte. Das Geld ist ein Ziel an sich geworden und hat nichts mehr mit dem zu tun, wofür es ursprünglich gedacht war, nämlich als Transaktionsmittel für den Handel. Einer der fünf Punkte für Aktionen von Attac ist die Einführung der Tobin-Steuer, einer Steuer auf internationale Valutatransaktionen. Man verspricht sich davon, dass spekulative Geldströme eingedämmt werden können. Andere Punkte sind die Befürwortung eines demokratischen Verfügungsrechtes hinsichtlich des nationalen Kapitalverkehrs (jedes Land muss unabhängig von Organisationen wie dem IWF und der Weltbank selber bestimmen können, in welchem Maße es für internationale Kapitalströme offen ist), Abschaffung von Steuervorteilen von Betrieben, wirklich höhere Steuern auf Kapitalgewinn und die Einführung von solidarischer Haftung von Aktionären, Finanzverwaltern und Betriebsleitern, wodurch sie direkt verantwortlich wären für die Effekte ihrer Betriebsführung.

Alles in allem ein relativ gemäßigtes Programm. Attac geht es nicht um eine radikale Umkehr, sondern in erster Linie darum, dafür zu sorgen, dass die Politik wieder die Ökonomie im Griff hat statt andersherum. Es geht um das bewusste Streben nach einer breiten Bewegung, die sich mit realistischen Vorschlägen vor allem auf die Exzesse der neoliberalen Politik richtet. Dabei gibt es viele Übereinstimmungen mit der Protestbewegung in Zusammenhang mit den Topkonferenzen von IWF, Weltbank und Welthandelsorganisation WTO, in der die Mitglieder von Attac auch eine prominente Rolle spielen. Hans van Heijningen: „Es ist wichtig zu zeigen, dass es eine Gegenströmung gibt. Wir sollten unsere Zeit nicht verplempern mit Vorschlägen, die in den kommenden zehn Jahren absolut keine Chance haben, sondern auf die eine oder andere Art Vorschläge entwickeln, die es glaubhaft machen, dass man die Ökonomie auch auf eine ganz andere Art leiten könnte. Die Tobin-Steuer ist dafür ein gutes Beispiel. Ihre Einführung ist relativ unschuldig und hat eher eine Symbolfunktion, als dass sie zu tiefgreifenden Veränderungen führt.“

Anmerkungen
1 Jaap van Leeuwen und Nils Buis – Het alternatief voor cholera is geen cholera, in: SolidairNews no 2, Utrecht, November 2000
2 Flip van Doorn – Allemaal twee kwartjes, Oktober 2000
3 Attac Nederland, Amsterdam 2000
4 Flitskapitaal moet aangepakt worden – Xpress, no 3, Amsterdam, December 1999
5 Freek Kallenberg – Aanval op het Kapitaal, in: Ravage no 5, Amsterdam, 7. April 2000
6 ebenda

 

Nils Buis arbeitet als Grafik-Desginer in seinem Betrieb „Om tekst en vorm“ und im Utrechter Wohnprojekt „de bonte kaketoe“. Er ist Mitglied des Vereins „Solidair“. Jaap van Leeuwen arbeitet im Bereich Beratung nachhaltige Technologien, „ADT“ (Advies duurzame technologie). Er ist Mitglied des Vereins „Solidair“.
WEITERFÜHRENDE LINKS:
www.solidair.nl
www.uno-inkomen.org
www.omslag.nl
www.attac.nl
  | TOP | DIESE SEITE DRUCKEN|