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Nils Buis / Jaap van Leeuwen

Die gelebte Alternative – Die Do-it-yourself-Revolution

Es scheint eine Wahl zu geben, entweder dem ökonomischen System zu Leibe zu rücken oder diesem den Rücken zu kehren und zu versuchen, seine eigene Alternative zu realisieren. Heute wie früher haben Menschen überall auf der Welt mit mehr oder weniger viel Erfolg versucht, ihr eigenes Paradies zu bauen. In manchen Fällen überwog die Enttäuschung darüber, wie es in der Gesellschaft zuging, was zu einer totalen Abneigung gegen diese Gesellschaft und einer bewussten Entscheidung für Isolation geführt hat. In anderen Fällen ging und geht es um die Realisierung einer beständigen Alternative, die nicht nur die Bedingungen schafft, nach eigenem Gutdünken wohnen und arbeiten zu können, sondern auch als Beispiel fungiert und nicht selten auch noch Möglichkeiten und Mittel kreiert, außerhalb der eigenen Alternative die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse zur Diskussion zu stellen.

Beispiele gibt es genug, etwa ethische Unternehmen oder Initiativen, die mehr oder weniger eingebettet sind in eine Struktur der alternativen Bewegungen. Im Zuge der HausbesetzerInnenbewegung der achtziger Jahre entstand in verschiedenen großen Städten eine „Do-it-yourself-Kultur“, die sich auf mehrere Wohn- und Arbeitsprojekte wie Vrankrijk und Tetterrode (Amsterdam), das ACU (Utrecht), Hotel Bosch (Arnheim), Begijnen (Nimwegen), de Wilde Wereld (Wageningen), de Paap (Den Bosch), Poortgebouw (Rotterdam), und de Blauwe Aanslag (Den Haag) konzentrierte. Durch die Besetzung von Spekulationsobjekten beanspruchte die Bewegung nicht nur Wohnraum für sich, sondern auch Platz, um Eigeninitiativen zu entfalten. Auf Dauer entstand eine Subkultur, in der sich neben Wohnen und der Ermöglichung von verschiedenen aktions- und kulturorientierten Initiativen auch unterschiedliche Arten von Betrieben entwickeln konnten. Die meisten dieser Wohn- und Arbeitsprojekte existieren noch immer, besetzt oder inzwischen legalisiert und von den BewohnerInnen bzw. dem NutzerInnenverein gekauft. Obwohl von Zeit zu Zeit eine „große BewohnerInnenbesprechung“ mit einigen dieser großen besetzten Häuser stattfand, hat das doch nie zu struktureller Zusammenarbeit geführt.
Dennoch gibt es in Holland auch Initiativen, die verschiedenen Menschen und Projekten, die ihre eigene Alternative leben, einen organisatorischen Rahmen bieten. In diesem Beitrag stellen wir zwei von ihnen vor, die Emmausbewegung und de Vakgroep (Vereinigte Arbeitskollektive).

Stiftung Emmaus Nederland (SEN)
Die Idee der Emmausbewegung kam in den sechziger Jahren aus Frankreich nach Holland. Die erste Emmausgruppe wurde 1949 für und von Obdachlosen in Paris gegründet. Ihr Gedankengut hat seinen Ursprung im Frankreich des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg. Anders als der Name und die prominente Rolle, die der Gründer – Abbé Pierre – jahrelang spielte vermuten lassen, ist Emmaus keiner politischen oder religiösen Idee verbunden. Im Laufe der Zeit wuchs Emmaus zu dem, was es heute ist: eine internationale Bewegung, der sich 350 Gruppen angeschlossen haben. Weil die verschiedenen Emmausgruppen ihre Umgebung und ihre Situation widerspiegeln, sind die Gruppen sehr unterschiedlich. Eine zentrale Rolle innerhalb der Emmausbewegung spielt das so genannte Universelle Manifest der Bewegung, das von jeder Emmausgruppe unterschrieben werden muss. Des weiteren bezahlt jede Emmausgruppe einen Mitgliedsbeitrag und zwei Prozent ihres Umsatzes an das übergreifende Emmaus International. Regelmäßig finden nationale, regionale und weltweite Treffen statt, die im Zeichen der internationalen Solidarität stehen. Vor allem die Emmausgruppen aus den Entwicklungsländern betonen deren Wichtigkeit: Ohne Bewusstwerdung im reichen Westen ist Entwicklung in der „Dritten Welt“ nicht möglich.1

Die Bewegung kombiniert die Wiederverwendung von Gegenständen mit der Fürsorge für Randgruppen in unserer Gesellschaft und Projektunterstützung, oftmals in der Zweiten, Dritten und Vierten Welt. In Holland sind ungefähr zwanzig Emmaus-Gruppen aktiv. Sieben davon sind Wohn- und Arbeitsgemeinschaften (Kommunen), der Rest sind Gruppen Ehrenamtlicher. Für die breite Öffentlichkeit ist Emmaus eine Versammlung von Secondhand-Läden. Alles was man in den Geschäften kaufen kann – das variiert von Kleidung und Hausrat über Bücher bis hin zu elektrischer Apparatur – wurde kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Leute bringen ihre überflüssigen Gegenstände entweder selbst oder sie werden abgeholt. Vom Ertrag wird in erster Linie die eigene Gruppe finanziert. Mit dem was übrig bleibt, werden Basisprojekte unterstützt.

Wiederverwertung von Gütern ist die Kernaktivität aller EmmausGruppen. Indem diese Güter ein zweites Leben bekommen, wird die Umwelt geschützt. Sie werden abgeholt, sortiert und dann in den Geschäften zum Kauf angeboten. Manche Dinge werden repariert, und manchmal, wenn sich etwas gar nicht mehr verkaufen lässt, wird es zum Recycling gegeben oder in „Dritte-Welt“-Länder verschickt. Aber Emmaus ist mehr als das. Es zielt darauf ab, Menschen Chancen zu geben, die Mühe haben, sich in dieser Gesellschaft allein aufrecht zu halten. Nachhaltigkeit findet man bei Emmaus letztendlich also vor allem im Umgang mit Menschen. Die Wiederverwertung ist hier das Mittel, um Menschen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, zu helfen, ihr Leben wieder zu regeln. Das kommt am besten zum Ausdruck in den Wohn- und Arbeitsgemeinschaften, die sich um die Betreuung von Obdachlosen kümmern, wobei hier gilt, dass diese einerseits Treffpunkte sind für Leute, die sich aufgrund ihrer Ideale bewusst für den Aufenthalt in einer Emmaus-Kommune entscheiden, und andererseits für solche, die keine Wahl mehr haben. Indem sie zusammen arbeiten, erwirtschaften die Mitglieder einer Kommune ihren Lebensunterhalt auf der Basis von Kost und Logis und einem Taschengeld. Emmaus bietet ihnen die Gelegenheit, sich wieder nützlich zu machen, da sie mit ihrer Arbeit anderen helfen können und einen Platz im Windschatten finden, wo sie die Chance haben, wieder Luft holen zu können.

Daneben gibt es Gruppen, die ausschließlich mit Ehrenamtlichen arbeiten. Es sind Leute die nicht im Emmaus-Verband leben, aber einen Teil ihrer Zeit dafür einsetzen, die Emmaus-Idee zu realisieren. Weil bei diesen Gruppen jedeR einen Lebensunterhalt hat, kann relativ viel Geld für die Unterstützung von Projekten verwendet werden. Die beste Chance auf Unterstützung haben Projekte, die eine Perspektive für ökonomische Unabhängigkeit haben. Das bedeutet strukturelle Hilfe für Projekte von kleinem Umfang, die von der lokalen Bevölkerung getragen werden, im In- sowie im Ausland. Eine andere Bedingung ist, dass Projekte, die Unterstützung beantragen, auf diejenigen ausgerichtet sind, die an den Rand der Gesellschaft gedrückt werden. Jede Emmausgruppe entscheidet selbst, wen sie unterstützt.

Auch die Emmaus-Gruppen in Holland unterscheiden sich voneinander. Jede Gruppe ist autonom und bei ihrem Handeln nur sich selbst verantwortlich, zumindest solange sie sich an die Regeln des Universellen Manifests hält. Es gibt nicht nur einen Unterschied zwischen ehrenamtlichen Gruppen und Kommunen, sondern jede Gruppe hat auch andere Prioritäten und entscheidet über ihre Identität. Letztlich sind es die Menschen, die die Gruppe ausmachen. Ein wenig Koordination geht von Stichting Emmaus Nederland (SEN) aus, einem Verband für Zusammenarbeit, dem alle holländischen Emmaus-Gruppen angehören.

Im Laufe der Zeit wurde viel Fachwissen aufgebaut. Es gibt viel Wissen und Erfahrung in Bezug auf verschiedene Arten des Zusammenwohnens und -arbeitens und der Wiederverwertung. In den letzten Jahren wurde das Geschäft mit Wiederverwertung aber auch von anderen entdeckt, unter anderem von kommerziellen Unternehmen. Dadurch entstand eine lebhafte Konkurrenz. Das bedeutet, dass Emmaus sich auf seinen Platz auf dem Secondhand-Markt besinnen muss. Es wird darüber nachgedacht, wie man sich in Zukunft auch mit anderen Mitteln außer der Wiederverwertung weiterentwickeln kann.

Auch sieht Emmaus sich mit einem drohenden Mangel an tragenden Kräften konfrontiert, die sich für die Organisation einsetzen wollen und die Kapazitäten haben, einzelne Gruppen zu tragen. Auch hierfür gilt, dass man schauen muss, wie man den Wünschen der Leute entgegenkommen kann, um in der Zukunft neue Möglichkeiten zu entwickeln.

Kooperationen in Holland
Die konkreteste Art, sich den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie zu entziehen, ist die Entwicklung eines eigenen Gewerbes, bei dem man selber über Produktionsmittel und Produktionsart verfügen kann.

Anfang des vorigen Jahrhunderts war die Produktionskooperation dafür eine weitverbreitete Organisationsform. Die Kooperativen-Bewegung hat in Holland jedoch nie richtig Wurzeln schlagen können, auf jeden Fall nicht in demselben Maß wie in den umgebenden Ländern Frankreich, Deutschland, Italien und vor allem England. Die beste Erklärung hierfür ist, dass die Industrialisierung in Holland erst später in Gang kam und man infolge dessen erst später von einer organisierten Arbeiterbewegung sprechen konnte. Aber auch die Strategie der Arbeiterbewegung hatte Einfluss auf die mäßige Begeisterung für das Arbeiten in Kooperationen.2 Anders als beispielsweise in England, wo schon ca. 1850 der erste Verbraucherverbund (kooperative Geschäfte) entstanden war, der wiederum die Basis schuf für die Entstehung der Produktionskooperationen, sorgte die Gründung einer Gewerkschaft und Arbeiterpartei für ein Klima, welches für die Chance auf Erfolg der Kooperationsform nicht förderlich war. Die Priorität der Arbeiterbewegung lag vor allem beim politischen Kampf, die arbeitende Bevölkerung sollte in Gewerkschaften organisiert werden, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse einschließlich der Eroberung der politischen Macht. Sich selbst in Kooperationen zu organisieren, wurde dabei für unbedeutend gehalten und nicht selten abgetan als etwas, das nur ablenkt von dem, worum es wirklich geht: um den Klassenkampf. Diese Haltung wurde übrigens verstärkt durch die unpolitische Haltung der Pioniere der ersten Kooperationen.3

Nichtsdestotrotz wurden Ende des 19. Jahrhunderts einige Produktionskooperationen gegründet, hauptsächlich um ausgeschlossenen Streikenden wieder Arbeit zu verschaffen. Die größte Schwierigkeit dabei war, dass es schier unmöglich schien an Kapital zu kommen, wodurch es nur in Branchen, in denen wenig Investitionen erforderlich waren möglich war, Kooperationen ins Leben zu rufen – z.B. in der Zigarettenherstellung, im Baugewerbe, Buch- und Zeitungsdruck, Schreinereien und Bäckereien. Um die Jahrhundertwende kam ein neuer Impuls von Gruppen und Individuen, die Landnationalisierung oder Innenkolonisation propagierten. Im Jahre 1898 gründete der Schriftsteller und Arzt Frederik van Eeden bei Bussum die Kolonie Walden und ein Jahr später begann eine Gruppe christlicher AnarchistInnen mit ihrer Kolonie in Blaricum. 1901 führte dies zur Gründung der GGB, der Vereinigung Gemeinsamen Grundbesitzes, die bis 1958 bestehen sollte. Die GGB sollte ein Verbund für Zusammenarbeit verschiedener Ackerbaukolonien und Produktionskooperationen werden, wobei das Hauptziel formuliert wurde als „in gemeinsamen Besitz bringen und nutzen von Grund und Produktionsmitteln“. Das Leben der GGB ist allerdings gezeichnet von Perioden des Rückgangs und der Wiederbelebung. Vor allem in der Zeit nach 1920, als die ökonomische Regression langsam zuschlägt, kann man von einem Aufschwung sprechen, da sich einige Dutzend Kooperationen anschließen. Ganz allgemein führte die Vereinigung allerdings ein mühseliges Leben und hatte zu kämpfen mit Uneinigkeit innerhalb der Bewegung, schlechter Organisation und Verwaltung, schlecht gehenden Geschäften und der Tatsache, dass die Anhängerschaft von „eigenen Betrieben“ nicht genug Produkte abnahm. Während des Zweiten Weltkriegs verhielt sich die GGB still, danach schien sie nicht mehr lebensfähig und siechte bis 1957 dahin. In diesem Jahr wurde die Vereinigung dann aufgelöst. Ihr Vermögen wurde der Methöfer-Stiftung vermacht, welche „das Studium und die Förderung der menschlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Rahmen der sozial-ökonomischen Fragestellung“ zum Ziel hat.4

Inzwischen waren einige etwas moderner orientierte Produktionskooperationen entstanden, bei denen das Bedürfnis nach Zusammenarbeit bestand. 1959 wurde die ABC (Associatie van Bedrijven op Coöperative grondslag/Assoziation von Betrieben auf kooperativer Basis) gegründet. Die Antriebskraft der ABC war H. van Steenis, der sein kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründetes Ingenieurbüro zu einer kooperativen Vereinigung gemacht hatte. Keiner der alten GGB-Betriebe, soweit noch existent, schloss sich dem an, aber bis 1977 hatten sich 13 andere Kooperationen der ABC angeschlossen, wobei es um ziemlich große Betriebe mit durchschnittlich 130 ArbeiterInnen ging. Die ABC hat sich seit ihrer Gründung hauptsächlich als eine Interessenvertretung für kooperative Betriebe profiliert, sowohl intern durch ein Angebot von Kursen, als auch gegenüber den Behörden. Es wurde auch ein ABC-Garantiefonds gegründet, der kleine Investitionskredite verlieh. Einige angeschlossene Kooperationen und die aus der GGB hervorgegangene Methöfer-Stiftung lieferten hierfür die Mittel.5 Inzwischen ist die Methöfer-Stiftung in den immer noch bestehenden Financieringsfonds Demokratische Bedrijven (Finanzierungsfonds demokratische Betriebe) aufgegangen.6

Zu Zeiten der Demokratisierungsbewegung Ende der sechziger Jahre und unabhängig von der ABC entstand mit der zunehmenden Wohlfahrt ein Klima, in dem viele andere Formen des Zusammenarbeitens und Zusammenwohnens diskutiert und ausprobiert wurden. Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre gruppierten sich um die sich teilweise überschneidende MeMo-Bewegung und Arbeitsbewegung zahlreiche Initiativen, die auf eine andere Art mit Arbeit umgehen wollten. MeMo (Mens en Milieuvriendelijke Ondernemen / Menschen- und umweltfreundliche Unternehmen), 1977 gegründet, war eine lose Bewegung, die umweltfreundlichen und Selbsttätigkeit anstrebenden Initiativen kleineren Umfangs Beratung, Information, Kredite und finanzielle Unterstützung anbot. Auf Dauer gingen die ursprünglich mit dem MeMo-Gedanken gegründeten Initiativen jedoch ihren eigenen Weg. Andere gingen lautlos zugrunde. Weil ein großer Teil des Gedankenguts von der Gesellschaft übernommen worden war, schwand die Existenzberechtigung der MeMo-Bewegung langsam aber sicher.7 Der Arbeitsbewegung erging es nicht viel besser. Um die Zeitschrift Eigene Arbeit und das KOM-Büro (eine von der Provinz Utrecht subventionierte Beratungsstelle für neu gegründete Unternehmen) entstand Anfang der achtziger Jahre ein Netz kleiner Betriebe und ehrenamtlicher Initiativen. Viel mehr als ein Netz ist es nie gewesen: Der Vorsatz, in Form einer Föderation eine weiterführende Struktur der Zusammenarbeit zu entwickeln, wurde nie realisiert, vor allem weil schon schnell klar war, dass man kaum von gemeinsamen Interessen und politisch-gesellschaftlicher Betrachtungsweise sprechen konnte.8

De Vakgroep und het Verband
In dieser Zeit wurde der Grundstein gelegt für das, was sich später zur Vakgroep ausweiten sollte. Wo die Arbeitsbewegung am Mangel an Organisation und gemeinschaftlichen Zielen zugrunde gegangen war und MeMo jetzt ein schlafendes Dasein führte, gelang es der Vakgroep nicht nur zu überleben, sondern auch langsam zu wachsen. An der Wiege der Vakgroep stand die Vereinigung de Keerkring (der Wendekreis), 1974 gegründet. Ihr Ausgangspunkt war die Entwicklung von Alternativen fürs Zusammenleben, wozu die selbstverantwortliche Übernahme der Grundlagen von Leben, Wohnen und Arbeiten gehört. Aus der Einsicht, dass strukturelles Teamwork zwischen Wohn- und Arbeitsgemeinschaften viele Vorteile haben könnte, entstand die Vakgroep als Föderation von kooperierenden Projekten. Über eine Beitrittsvereinbarung wurden über finanzielle, organisatorische und sozialpolitische Dinge Absprachen getroffen. 1984 wurde gemeinsam die Stiftung Kollektieve Kas (Kollektive Kasse) gegründet.
Der Schwerpunkt der Vakgroep lag anfangs vor allem bei den Wohnprojekten in Utrecht. Die besetzten Häuser wurden oft geräumt, und daher

beschloss eine Gruppe von Leuten, eigenen sicheren Wohnraum zu schaffen. Die Wohnvereinigung de Regenboog (der Regenbogen) wurde gegründet, um eines der Häuser zu kaufen. Dieses Beispiel fand schnell Nachfolge. Bei der Renovierung der Häuser wurde von den BewohnerInnen notgedrungen viel selber gemacht. Im Laufe der Zeit wurden Erfahrungen gemacht und die ersten Betriebe gegründet, anfangs hauptsächlich im Bausektor. Inzwischen vereint die Vakgroep ungefähr 25 Wohnvereinigungen, Projekte mit Ehrenamtlichen und Betriebe, unter anderem ein Bauunternehmen, zwei Betriebe, die kleinere Arbeiten am Bau erledigen, ein Architekturbüro, ein grafisches Entwurfs- und Multimediabüro, ein Büro für Projektentwicklung und Organisationsberatung, eine Autoleasing-Firma, ein Verlag, ein Zentrum für bildende Kunst und in Frankreich einen Ziegenbauernhof mit Käserei und einen Ort für Kurse und Ferienaufenthalte.

Der Grund, dass die Vakgroep so lange bestehen konnte, liegt in der Organisation der Zusammenarbeit und in der Tatsache, dass die der Vakgroep angeschlossenen Projekte gemeinsame finanzielle Interessen haben. Die Mitglieder von Projekten zahlen neben einem festen monatlichen Beitrag auch einen bestimmten Prozentsatz ihres Umsatzes (Betriebe) oder Gewinns aus Vermietung (Wohnvereinigungen). 1999 wurden mehr als 100.000 Gulden von den Projekten an die Vakgroep als allgemeine Mittel abgeführt, welche über einen festen Verteilerschlüssel auf verschiedene Fonds innerhalb der Stiftung Kollektieve Kas verteilt wurden. Es gibt einen gemeinschaftlichen Notfonds, einen bescheidenen Einlagefonds, der Überbrückungskredite verleihen kann, einen Fonds zur Unterstützung der wirtschaftlichen Nutzung von Wohnungen und einen internen Unterstützungsfonds sowie einen externen Fonds, aus dem Projekte außerhalb der Vakgroep gefördert werden.

Die Vakgroep hatte ihre Wurzeln immer schon in der Praxis. Ihr Modell ging stets von der Autonomie der einzelnen Projekte aus und zielte auf gegenseitige Unterstützung. Ein wichtiger Aspekt des Erfolges der Vakgroep ist die Tatsache, dass Ideologie niemals die Chance bekam, über die Praxis zu walten. Unterschiede in Auffassungen, Zielen und Arbeitsweise wurden immer toleriert, etwa innerhalb der Wohnvereinigungen, wo es jedem Wohnprojekt selber überlassen bleibt, ob die Miete auf Einkommensbasis berechnet wurde, ohne dass dieses System verpflichtend war.
Dem Beispiel der Vakgroep folgten andere mit der Gründung von het Verband, ebenfalls ein föderativer Zusammenschluss mehrerer Dutzend Projekte in Nimwegen und Umgebung. Organisationsstruktur und Arbeitsweise sind größtenteils identisch mit denen der Vakgroep, und es gibt untereinander viel Austausch. Het Verband und de Vakgroep nehmen auch zusammen Teil am INCOF (International Network of Co-Operative Federations), einem internationalen Vernetzungszusammenhang ähnlich ausgerichteter Organisationen und Initiativen aus Holland, Deutschland und Großbritannien.

Von de Vakgroep zur Solidair
Anfangs vermehrte sich das Vermögen der Kollektieven Kas nur langsam, aber als die Föderation und damit die Geldströme an Umfang zunahmen, entstanden Pläne für breitere Finanzierungsmöglichkeiten. 1993 nahmen diese Gestalt an durch die Gründung des Ana Maria Fonds innerhalb der Vakgroep, der die Möglichkeit schaffen sollte, auch das Gewähren von Krediten so weit wie möglich unter eigenen Bedingungen zu realisieren und auf diese Art mehr Geldströme selbst zu bestimmen. Diese Entwicklung brachte allerdings bei der Vakgroep einen Prozess abnehmenden Engagements in Gang, da einige Projekte das Gefühl hatten, die Übersicht zu verlieren über das, was entwickelt wurde. Das hatte vor allem damit zu tun, dass infolge von Umzügen in manchen Fällen keine der ursprünglichen BewohnerInnen noch Mitglied der von ihnen gegründeten Wohnvereinigungen war, so dass das Engagement abnahm. Bei manchen Betrieben lief dasselbe ab, man sah sich gezwungen zu wachsen, es wurden neue MitarbeiterInnen eingestellt, die hauptsächlich wegen des Betriebes kamen und sich nicht so sehr mit dem größeren Verbund der Vakgroep verbunden fühlten.10

Zur gleichen Zeit kam eine gegensätzliche Bewegung in Gang. Einigen Menschen wurde klar, dass auf diesem Wege weiterzumachen, ein langsames Abbröckeln zur Folge hätte und letztendlich den Tod des Ganzen bedeuten würde. Obendrein erwies sich aus diversen Kontakten mit Projekten, die kein Mitglied der Vakgroep waren, dass es im Land ein Bedürfnis nach bestimmten Formen des Teamworks gab, und es entstand die Idee, dass die Zeit reif sei, um mit den gemachten Erfahrungen und der erworbenen Professionalität weiter nach außen zu treten. Das alles führte dazu, dass ab 1997 über eine neue Organisation der Zusammenarbeit nachgedacht wurde, was im März 2000 zur Gründung der Vereniging Solidair als Nachfolgerin der Vakgroep führte.

Der wichtigste Ausgangspunkt für die Organisation der Solidair ist die Tatsache, dass nicht jedeR zu einer bestimmten Sache auf dieselbe Art beitragen kann oder will. Darum werden bei Solidair die Unterschiede, was Motivation, Inspiration und konkrete Möglichkeiten betrifft, nicht nur akzeptiert, sondern gerade als positiv bewertet und produktiv gemacht. Solidair will eine möglichst breite solidarische Struktur bieten, mit der sie Individuen, Betriebe, Wohnprojekte, ImmobilienbesitzerInnen, aber auch sozialpolitische Initiativen einlädt, mit Zeit, Geld, Energie und Ideen zur Entwicklung einer solidarischen Ökonomie beizutragen. Solidair umfasst verschiedene solidarische Organisationen, in denen unterschiedliche Formen von Beteiligung Gestalt annehmen können. Diese Organisationen (Ana Maria Fonds, SamSam, Commitment, AMF-OnroerendGoed und Resonans) haben jeweils ihre eigene Dynamik und ihr eigenes Arbeitsfeld und arbeiten zusammen, um einen optimalen Effekt zu erreichen.11

Stiftung Ana Maria Fond
Die Stiftung Ana Maria Fonds ist eine Stiftung für das Gemeinwohl, die Spenden und Vermächtnisse empfängt von all denen, die auf eine wenig verpflichtende Art und Weise solidarisch ökonomisches Handeln unterstützen wollen. In Zusammenarbeit mit der Triodos Bank wurde im Ana Maria Fonds ein Teilfonds, der Fonds Toevoegende Waarde (hinzufügenden Wert) gegründet. Sinn der Sache war es, dass vor allem Betriebe, die solidarischen Ökonomie unterstützen, aber nicht allzu viele Verpflichtungen eingehen wollen, pro Jahr ein Prozent ihres Nettogewinns diesem Ziel zur Verfügung stellen. Des weiteren kennt der Ana Maria Fonds sogenannte Love Money Projekte. Jährlich werden aus sechs Teilgebieten Projekte ausgewählt, die besondere Unterstützung brauchen und auf die der Fonds eine breite Öffentlichkeit aufmerksam machen will. Wer einen Beitrag leisten möchte kann aus folgenden Kategorien wählen: Ungleichheit, Unrecht, Entwicklung in der Dritten Welt oder Osteuropa; Armut, Unrecht und Solidarität in Holland; Schulung, Forschung und Erziehung; Information und Publizität; Kultur und Kunst und Natur und Umwelt.

Vereinigungen Commitment und Resonans
Die Vereinigungen Commitment und Resonans umfassen hauptsächlich Betriebe, aber auch Wohnprojekte und soziale, kulturelle und politische Initiativen, die sich der sozialen Ökonomie noch mehr verbinden wollen. Es sind Initiativen, die auf die Art, wie sie arbeiten und wie sie organisiert sind und mit ihren Produkten und Dienstleistungen zeigen, dass sie die Sorge für Mensch und Umwelt und das Zusammenarbeiten wichtiger finden als Konkurrenz und Gewinnmaximierung. Indem sie, neben einem kleinen Mitgliedsbeitrag, Geld von ihrem Gewinn bzw. Einkommen abführen, machen sie miteinander nicht nur Mittel für die Gewährung von Krediten an neue solidarische Projekte frei, sondern auch für diverse Rücklagen, die dafür da sind, einander finanziell unterstützen zu können. Resonans erwartet von ihren Mitgliedern nicht nur einen höheren finanziellen Einsatz, sondern auch einen aktiven inhaltlichen Beitrag. Wohnprojekte verpflichten sich, Teile ihres Besitzes in die Vereinigung einzubringen, wodurch man hier von einer Form des sozialen Eigentums sprechen kann. Auf diese Weise verhindern sie, dass das Projekt, welches sie noch mitbegründet haben, von seinen ursprünglichen Zielen abweicht, sobald die InitiatorInnen ausgezogen sind. Auch Individuen können auf diesem Niveau einsteigen, indem sie Mitglied bei Dissident werden, das wiederum der Vereinigung Resonans angehört.

ImmobilienbesitzerInnen können auf unterschiedliche Art Beziehungen mit der Stiftung AMF-Immobilien eingehen. Die Stiftung strebt danach, möglichst viel gemeinschaftlich gebundenes Eigentum zu entwickeln, wobei man nach Eigentumsverhältnissen sucht, die den persönlichen Vorteil begrenzen oder sogar ausschließen. Sie bietet einerseits ein Paket von Dienstleistungen an, zum Beispiel Beratung und Unterstützung bei der Verwaltung von Immobilien, andererseits bietet sie ImmobilienbesitzerInnen die Möglichkeit, ihr Vermögen (oder einen Teil davon) zeitweise der Stiftung zur Verfügung zu stellen oder es ihr sogar ganz zu vermachen. Vielen ImmobilienbesitzerInnen ist nicht bewusst, dass als Folge der explosiven Wertsteigerung von Häusern in den letzten Jahren ihr Vermögen beträchtlich zugenommen hat. Die Stiftung AMF-Immobilien lädt dazu ein, diese stillen Reserven produktiv zu nutzen, indem sie als Kautionen für neue Initiativen eingesetzt werden, denen es dadurch ermöglicht wird, bei der Bank eine Hypothek zu bekommen. Nicht nur Wohnprojekte, die schon an anderen Stellen in die solidarische Zusammenarbeitsstruktur involviert sind, können auf diese Weise ihr Vermögen arbeiten lassen, sondern auch private ImmobilienbesitzerInnen.

SamSam ist ein sogenannter Einlagefonds für alle, die in solidarische Projekte investieren wollen. Die Mitglieder zahlen für kurze oder längere Zeit Geld ein, womit Projekte unterstützt werden, zum Beispiel mit Startfinanzierungen, Überbrückungskrediten, Beratung und Begleitung. Zusammen schaffen die verschiedenen solidarischen Organisationen ein breites Spektrum an Aktivitäten, die darauf abzielen, dem Begriff ‚solidarische Ökonomie‘ Inhalt und Form zu geben. Bei der Zusammenarbeit in Solidair werden diese gebündelt. Dort finden Diskussionen über Prinzipien und Ziele der solidarisch ökonomischen Zusammenarbeit statt. Alle die auf irgendeine Art über eine der solidarischen Organisationen an der Vereinigung beteiligt sind, haben Zugang dazu. Alle vier Jahre werden die Ausgangspunkte erneut festgelegt und angepasst.

Für die finanziell-technische Umsetzung arbeiten die solidarischen Organisationen in der Respons KG zusammen, einer Kommanditgesellschaft, die im Grunde der gemeinsame finanzielle Betrieb der zusammen arbeitenden solidarischen Organisationen ist. Alle solidarischen Organisationen bringen als stille TeilhaberInnen einen Teil ihres Vermögens in die KG ein.

Perspektiven von Solidair
Weil die Organisation noch jung ist, wird man darin noch viel entwickeln müssen. Auf jeden Fall sind der Wunsch und das Potential da, eine wirkliche Alternative zum marktwirtschaftlichen Denken aufbauen zu können. Solidair entscheidet sich dabei ausdrücklich dafür, die Alternative von der Basis her aufzubauen. Wer von diesem solidarischen Verband unterstützt wird, wird gebeten, selber auch teilzunehmen. Auf diese Weise entsteht eine Form der Zusammenarbeit, die eine stets größere Reichweite bekommt und Kraft und Mittel möglichst aus sich selber schöpfen kann.

Momentan wird hart daran gearbeitet, eine neue Organisationsstruktur auf die Beine zu stellen und die alte Vakgroep zur Solidair umzuformen. Bis auf ein einziges Projekt haben alle Initiativen, die früher bei der Vakgroep angeschlossen waren, einen Platz in der neuen Kooperationsstruktur gefunden. Inzwischen haben sich auch die ersten neuen Projekte gemeldet, und es wird auch beim Verband darüber nachgedacht, wie man an der neuen Organisation partizipieren will. Insgesamt haben sich momentan 35 Projekte der Vereniging Solidair angeschlossen.

Anmerkung
1 Emmaus in Holland – Stichting Emmaus Nederland, Bilthoven, o.J.
2 Arbeiten in Kooperation – Stiftung WOV, Amsterdam/Utrecht, 1979
3 A.C.J. de Vrankrijker – Unsere Anarchisten und Utopisten, Fibula-Van Dishoeck, Bussum, 1972
4 José Koster – Arbeiter, arbeitet füreinander, in: Vin, no 35, Utrecht, Mai 1995
5 Arbeiten in Kooperation – Stiftung WOV, Amsterdam/Utrecht, 1979
6 Nils Buis – Eigene Arbeit, in: &, Ideen voor de doe het zelf revolutie no 3, Utrecht, Frühling 1998
7 Marc Pronk – Die Zukunft des Ökos in: &, Ideen voor de doe het zelf revolutie no 3, Utrecht, Frühling 1998
8 Nils Buis – Eigene Arbeit, in: &, Ideen voor de doe het zelf revolutie no 3, Utrecht, Frühling 1998
10 Nils Buis – Last uns de Vakgroep auflösen! In: Vin. no 65, Utrecht, Mai 1999
11 Hin zur solidarischen Ökonomie, stoppt den Treibhauseffekt – Vereniging Solidair, Utrecht, März 2000

 

Nils Buis arbeitet als Grafik-Desginer in seinem Betrieb „Om tekst en vorm“ und im Utrechter Wohnprojekt „de bonte kaketoe“. Er ist Mitglied des Vereins „Solidair“. Jaap van Leeuwen arbeitet im Bereich Beratung nachhaltige Technologien, „ADT“ (Advies duurzame technologie). Er ist Mitglied des Vereins „Solidair“.
WEITERFÜHRENDE LINKS:
www.solidair.nl
Emmaus: http://home.hetnet.nl/~abbepierre/
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