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Waldemar Schindowski

Portait: Dieter Koschek aus Wasserburg – Ein Alltag aus vielen Facetten

Ganze Bücherregale füllen mittlerweile Veröffentlichungen über neue Arbeitsformen, Patchwork-Biographien, die Vereinbarung zwischen Beruf und Familie und neue Selbstständige. Dabei unterstelle ich jetzt einmal, dass die meisten, die darüber schreiben und auf Podiumsdiskussionen davon reden, selber wohl kaum davon betroffen sind. Trotzdem bleibt der inhaltliche Kern all dieser Publikationen richtig. Fast jeder spürt und ahnt, dass sich die Lebensverhältnisse in dieser Gesellschaft verändern: sei es in der Arbeit, den Geschlechterbeziehungen, die Anforderungen an Qualifikationen und Selbstdarstellung wachsen. Jeder und jede reagiert anders darauf, die einen wehren die veränderte Gegenwart ängstlich ab, andere ziehen sich ein – meist „neoliberales“ – Kostüm an und strahlen eine „Alles-okay-Aura“ aus.

Doch welche Möglichkeiten bestehen darüber hinaus in dieser Gesellschaft, Anforderungen und eigene Vorstellungen, ja Wünsche in Einklang zu bringen, im Alltag umzusetzen? Wie so eine Option aussehen kann, wenn bestimmte Grundbedingungen wie etwa Gesundheit, Leistungsbereitschaft und -möglichkeit vorhanden sind, davon handelt dieser Beitrag.

Ein Portrait über Dieter Koschek, das Modell Wasserburg e.V. am Bodensee und über die Verquickung der verschiedenen Lebensbereiche. Es ist auch die Geschichte desVeränderungsprozesses eines Alternativprojektes, welches mittlerweile im dritten Jahrtausend angekommen ist, über Aktivitäten rund um die Person Dieter Koschek, über sozialpolitische Geschehnisse bundesweit und regional, die Patchwork-Network-Betriebsamkeiten und den Versuch daraus ein Beuyssches Gesamtkunstwerk praktisch zu leben.

Wie viele ist Dieter Koschek ein Kind der siebziger Jahre, Sozialarbeiterstudium und Engagement in sozialpolitischen Initiativen, im Jugendzentrum war sein „Start-up“. Die dabei gewonnenen Fähigkeiten hat er wie viele genutzt, heute sind sie die Qualifikation, um sein auch anstrengendes Leben zu meistern und sich immer wieder selbst zu motivieren. Für eine Reihe von Leute blieben die siebziger Jahre eine Phase, für ihm war es der Ausgangspunkt.

Dabei war der wichtigste Einschnitt der Eintritt und die Mitarbeit im Modell Wasserburg Ende der achtziger Jahre. Aus einer Selbstdarstellung des Projektes: „Unter diesem Namen (Modell Wasserburg e.V.) gründete Peter Schilinsiki 1976 mit Freunden und Freundinnen einen Verein, der die rechtliche Grundlage für den Aufbau des Projektes Eulenspiegel bieten sollte. Als ein Kulturzentrum im Sinne der Dreigliederung von Rudolf Steiner. Der Gasthof, das Haus soll nicht Privatbesitz einer Person sein, sondern im Besitz des gemeinsamen Vereins Arbeits- und Lebensgrundlage für Menschen bieten, die an dieser Idee arbeiten wollen. Der Start des ganzen Projektes war möglich, weil alte und neue FreudInnen die Idee unterstützten und sich entschlossen, durch Spenden und Darlehen einen Großteil der Summe zur Verfügung zu stellen, die den Kauf des Hauses ermöglichte. Die Idee von der Dreigliederung besagt, dass es die Entwicklung der Gesellschaft erfordert, die Bereiche der Kultur, des staatlich-rechtlichen Lebens und der Wirtschaft als eigenständige Bereich zu behandeln, die jeweils ihre eigenen Entwicklungsnotwendigkeiten haben. Für die Kultur (Kunst, Bildung, Forschung usw.) ist die Freiheit jeglicher Richtung notwendig.“

Der Kern des Projektes ist die Gaststätte Eulenspiegel: „Im Eulenspiegel sind alle wachen ‘Geister’ willkommen – ob jung oder alt, langhaarig oder kurzhaarig, weißhäutig, schwarzhäutig oder farbig, Anthroposoph oder Buddhist. Ruhe und Behaglichkeit wollen wir unseren Gästen bieten, wenn daraus Gesang und Feiern entstehen, freuen wir uns mit. Wir wollen angemessen bewirten und dem Gast auch seine Ruhe lassen. Daher fragen wir nicht alle zehn Minuten nach, ob jemand noch etwas trinken möchte. Es kann denn auch vorkommen, dass es manchmal etwas länger dauert, bis die ‘Bedienung’ zum Zahlen vorbei kommt. Bei uns ist nicht nur der Gast König oder Königin und soll sich wohl fühlen – sondern wir selber auch. Wir leben zwar von der Gaststätte, trotzdem ist sie nicht unbedingt profitorientiert, eher wird manchmal etwas Lässigkeit durchdringen, als der Zwang zur Perfektion. Dafür achten wir aber unbedingt auf die Qualität der Speisen. Neben einigen Fleischgerichten bieten wir eine Vielzahl von vegetarischen Gerichten an. In unserer Karte finden sich Biosäfte und -wein, Biobier und Nicaraguakaffee, aber auch die ‘üblichen’ Erfrischungsgetränke. Den Großteil unserer Produkte beziehen wir aus ökologischen Anbau und aus der Region. Gäste bescheinigen uns, dass sie dies schmecken. Die Speisen werden frisch zubereitet, eine Mikrowelle existiert in unserer Küche nicht. Manchmal dauert es dafür etwas länger als anderswo. Unsere Kuchen backen wir selber, ebenso unser Fladen- und „Hausbrot“, das sehr beliebt ist. Wir präsentieren keine „Hohe Küche“, wo zwar alles vegetarisch ist und entsprechend kostet, aber die Portion auf dem großen Teller verschwindet. Und wir halten nichts davon, die vegetarische Küche „noch so mitzunehmen“ tiefgekühlt aus dem Großhandel, durch die Mikrowelle gezogen, frisch auf den Tisch. Wir drehen die Kichererbsen eigenhändig durch den Wolf, hacken die Petersilie oder im Sommer das Liebstöckel und bieten handgeschnittenes und handgeklopftes Fleisch. Die Zubereitung ist zwar arbeitsintensiv, doch sind wir der Meinung, dass sich darin letztlich die Qualität unseres Angebotes spiegelt. Unser Ziel ist ein ökologisches Wirtschaften: wir unterstützen die biologische Landwirtschaft in der Region; entwickeln uns hin zu einem bewussten Umgang mit der Energie, denken beim Einkauf auch gleich das Müllproblem mit; arbeiten viel mit der Hand und mit einfacher Technik.“
Also eine Idylle? Kommend aus der Alternativbewegung, hat das Projekt seine Hochs und Tiefs überlebt, viele Menschen kamen, blieben länger oder kürzer und gingen wieder. Heute sind es vier feste MitarbeiterInnen, sowie eine Reihe von Aushilfen, der Verein als Träger des Modells Wasserberg e.V. mit der Gaststätte als ökonomischem Standbein.

Wie es zu der heutigen Situation gekommen ist, erklärt Dieter Koschek so: „Aus der Idee heraus, dass keine Person – auch nicht rein formal – die Funktion des Chefs, Pächters oder Inhabers einnehmen sollte, war der Verein eine Zeit lang Inhaber. Aber dieses Modell hat sich auf die Dauer nicht bewährt, das geht schon bei ganz praktischen Dingen wie Bankvollmachten los. Es entstand eine Diskrepanz zwischen denjenigen, die die Gaststätte betrieben und Mitgliedern des Vereins, die in der Regel nicht mitarbeiten. Andererseits gab es auch Mitarbeiter die nichts mit den Verein zu tun haben wollten, dies war auch nicht Bedingung. Eines Tages bestand der Vereinsvorstand aber nur noch aus Leuten, die nicht mehr mitarbeiteten. In dieser Situation entstand die Idee, dass die Gaststätte von den MitarbeiterInnen gepachtet werden soll. Aber in dem Moment, wo dieser Entschluss gefasst wurde, passierte etwas seltsames: Die Gruppe begann sich aufzulösen. Es kam zu größeren Konflikten, in deren Folge einer gehen musste. Ich selber bin mit meiner Freundin zusammen gezogen, eine Frau zog mit ihren Kindern zusammen, ein anderer ging nach Griechenland, der nächste wurde krank, einer hatte Depressionen – und auf einmal waren alle fort. Die übriggebliebenen beiden MitarbeiterInnen sahen sich nicht in der Lage, sich mit der Gaststätte selbständig zu machen und in diesen Moment sprang ich wieder ein.“

Seit Anfang 2001 ist Dieter Koschek Pächter der Gaststätte. „Es ist schon ein Problem mit einer Gruppe unternehmerisch zu agieren. In Deutschland gibt es verschiedenste Formen und Modelle, sie passen aber nicht auf ein wirkliches „Gruppen-Unternehmen“. Es ist einfach schwieriger in einer Gruppe, einen Betrieb zu führen, ihn weiterzuentwickeln, sich weitere Möglichkeiten am Markt zu erschließen, das eigene Produkt weiterzuentwickeln.“ Als Gründe führt er an: „...weil die Menschen unterschiedlich sind. Wenn hier im Haus ein Vorschlag gemacht wurde, dann musste man lange diskutieren, meistens gab es irgendjemanden, der immer noch dagegen war, weil es seinem persönlichen Empfinden nicht entsprach oder weil es vielleicht Mehrarbeit bedeutete oder weil ihm nicht klar war, ob es wirklich funktionieren wird. In der Gruppe passiert vieles viel langsamer.“ Machen also selbstverwaltete Betriebe Innovationen und Entwicklung unmöglich? Dieter Koschek: „Die selbstverwalteten Betriebe sind an sich Innovationen. Sie entwickeln permanent neue Formen von betrieblichem Miteinander, von den Grossen wird das eigentlich nur abgeschaut. Aber sie haben eben auch ein konservatives Element, das neue Entwicklungen in der Gruppe schwieriger macht – manchmal ist das allerdings auch eine vorteilhafte Bremse, als Einzelner kann man hier weniger Unsinn machen. Meiner Meinung nach sollen nicht alle Betriebe vergesellschaftet werden, es sollte auch ein Verfügungsrecht für Individuen geben, über Kapital, Land, Häuser etc., um ihre unternehmerischen Ideen umsetzen zu können. Ob ein Projekt dann tatsächlich nur von einer Person oder fünfen als Gruppe angegangen wird, das ist letztlich nicht so entscheidend. Meiner Meinung nach kann der Unternehmer ruhig ein Einzelner sein, muss nicht im Einklang mit Kollektiv oder Mitarbeitergesellschaft agieren – allerdings sollte die Gesellschaft hierfür einen Rahmen vorgeben. Insbesondere ökologische und ethische Vorgaben wären hier wichtig.“

Die Arbeit in der Gaststätte Eulenspiegel ist für ihn in andere Aktivitäten eingebettet. Der Eulenspiegel ist auch ein regionales Zentrum für Veranstaltungen, so finden jeden Dienstag Gesprächskreise statt mit Themen, die von der „Vermarktung von Ökoprodukten“ über die „Dreigliederung“ bis hin zu inhaltlich offene Abenden reichen. Das Haus ermöglicht ihm all diese Aktivitäten, die Gesprächskreise, die Redaktion der Zeitschrift Jedermensch (erscheint seit über 40 Jahren!), die ehrenamtliche Geschäftsführung für die AG SPAK. „Es ist für viele nicht so einfach, so zu leben, wie wir es tun – beispielsweise mit so mit geringem Einkommen.“ Lebensstil heißt hier konkret, sich materiell zwar einzuschränken, aber gleichzeitig keineswegs arm zu sein! Das Modell Wasserburg ermöglicht ein angemessenes Leben – statt höherem Einkommen mehr Zeitsouveränität. „Wenn man es richtig betrachtet, sind wir kein Wirtschaftsbetrieb wie alle anderen, sondern tatsächlich immer noch ein soziales Experiment, wo einfach neue Ideen ausprobiert werden. Der Eulenspiegel ist für mich immer noch ein Modellprojekt für ein anderes Wirtschaften und ein anderes Herangehen an und Umgehen mit Menschen. Wir haben schöne Räume, ein angenehmes Ambiente, bieten viele Möglichkeit, politisch aktiv zu sein oder engagiert in allen möglichen Variationen“.

Für sich persönlich hat Dieter Koschek ein Alltag kreiert, der aus vielen Facetten besteht – keinesfalls reibungslos, aber doch möglich aufgrund der Struktur des Modells Wasserburg. Er schildert das permanente Lernen und Reiben in der Gruppe, sein unternehmerisches Handeln im Rahmen der Gaststätte zur Sicherung der ökonomische Basis, seine Partnerschaft, in der auch die Ideen, der Berufsalltag und die Forderungen von Frau und Kind mitgedacht und mitgelebt werden müssen. „Ich lebe mit Freundin und Kind in einem der Bank gehörenden Haus – selbst gebaut unter ökologischen Gesichtspunkten.“ Die mannigfaltigen Aktivitäten fokussieren sich letztendlich in den sozialen Beziehungen, in dem Zuspruch oder der Ablehnung und in der Umsetzung von eigenen Ideen. Darauf kann man es gewiss nicht reduzieren, aber dies ist der Anfang und das Ergebnis eines Versuches, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, und das ist in dieser Gesellschaft ein Privileg – auch ohne Garantie, dass alles wirklich nach Wunsch läuft, oder vielleicht besser: mit der Garantie, dass alles doch wieder ganz anders kommt.
Es ist auch ein Geben und Nehmen, wobei der Anteil des Gebens in den vielfältigen Aktivitäten besteht: Sei es die Sozialhilfeinitiative Lindau, die Arbeit an der Forderung nach Existenzgeld in der AG SPAK oder die Ökoangebote in der Gaststätte Eulenspiegel, die Teilnahme an der Kindererziehung von Oskar. Zum Nehmen gehört auch ein Urlaub in der Begegnungsstätte Case Coro Carrubo in Comiso auf Sizilien, unterstützt auch finanziell vom Modell Wasserburg. Angenehmer und persönlicher gestaltet sich dort zum Beispiel ein Urlaub, Freundschaften werden lebendig gehalten und ganz neben bei wird sozialer und ökologischer Anspruch Bestandteil des Alltags.

 

Email: Waldemar Schindowskii
Waldemar Schindowski ist Mitherausgeber dieses Jahrbuch, weitere berufliche Aktivitäten: Verlag AG SPAK Bücher, digitales Publizieren und Digitaldruck. Mitarbeit u.a. im TAK AÖ (Theoriearbeitskreis Alternative Ökonomie).

WEITERFÜHRENDE LINKS:
Modell Eulenspiegel:  www.eulenspiegel-wasserburg.de
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